67. Fabel vom [115] Narcisso.

Ovidius erzehlet in seinem Wercke / welches er Metamorphosin getitulirt / daß ein Jüngling gewesen / Narcissus geheissen / der allerschönste zwar / der damals lebete / aber der sich wegen seiner schönen Gestalt dermassen erhub / und hoffärtig war / daß er alle andere Jünglinge und Jungfrauen neben sich verachtete. Diesen Narcissum gewann die schöne Jungfrau Echo lieb / da sie ihn hatte gesehen spatzieren / und den wilden Thieren nachjagen. Gab auch dem Narcisso ihre Liebe zu verstehen / und wünschte nichts mehr / als daß sie wiederum von ihm möchte geliebet werden. Aber der hoffärtige Narcissus verachtete die Jungfrau Echo und[115] wolt ihr gantz und gar keine Zeichen der Liebe beweisen / sondern flohe allzeit von ihr. Dannenhero ward die Echo so traurig / grämete sich so viel / daß sie in kurtzer Zeit alle ihre schöne Gestalt und Kräffte des Lebens verlohr: Blieb auch nichts an ihr als Haut und Knochen. Ja verschwand endlich gantz und gar / und blieb von ihr nichts übrig / als nur die Stimme und ein Wiederschall den man noch in den Wäldern höret / wann man überlaut ruffet.

Aber der Narcissus entrann seiner Straffe auch nicht. Denn wie er einsmals im Walde spatzierte und zu einem Brunnen kam / sich niederbückte / und auf den Knien aus dem Brunnen trincken wolte / siehe /da erblickte er in dem hellen schönen Wasser seine eigene Gestalt / und ward alsbald mit Leibes-Flammen entzündet gegen dasselbe Bild / das er im Wasser gesehen / nicht wissend / daß es sein eigenes war / und nur ein Schatten ohne Leib und Seele. Er unterstund sich solch Bild im Wasser zu küssen / mit ihm zu reden auch selbiges zu umfahen; Fand aber nichts als einen lautern Schein. Hierüber stellete er grosse Klage an gieng Tag und Nacht weinend / verfluchte das Feuer welches ihm im Hertzen brennete. Biß endlich die Liebe gegen ihm selber (welche die Griechen nenneten Φιλαυτίαν) ihm dahin brachte / daß er für Hertzeleid todt darnieder fiel. Und ist aus seinem Leibe /nach Aussage des Ovidii, gewachsen die schöne Blume / welche heutges Tages von ihm den Nahmen hat / und Narcisse Rößlein genennet wird.


Siehe ein solch Ende nehmen alle die / welche allzuviel von ihm selber halten. Hoffart stürtzet machen in Lebens-Gefahr.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 115-116.
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