66. Des wunderlichen Abentheuers [113] Æsopi etliche Thaten.

Der Phrygische Fabel-Schreiber Æsopus, welcher zur Zeit Königs Davids gelebet / und dafür gehalten wird / er sey der Assaph / des Davids[113] Chor- oder Sing-Meister gewesen / zwar sehr heßlich und abscheulich von Gestalt des Leibes / aber sehr weise und tieffsinnig von Verstande / war ein Knecht / und dienete einem Herrn. So begab sichs einmal / daß der Herr schöne grosse Feigen gekaufft. Da kamen des Æsopi Mitknechte / und frassen die Feigen auf. Wie nun der Herr nach den Feigen fragete / gaben die Knechte dem Æsopo die Schuld und sagten / Æsopus hätte sie gegessen. Æsopus ward hierüber zur Rede gestellet /und solte derohalben schwer und hart mit Ruthen gestrichen werden. Da hat er gedacht / wie er doch möchte seine Unschuld an den Tag bringen / und offenbar machen die / so die Feigen gefressen. Nahm derhalben laulicht warm Wasser / goß es in ein Becken / tranck davon einen guten Trunck. Bald darnach stieß er den Finger in den Halß / und brach alles Wasser rein wieder aus denn er den Tag noch nichts gegessen. Wie er solches gethan / hat er gebeten / der Herr möchte den andern Knechten befehlen / eben dasselbige auch zu thun / und von dem Wasser zu trincken; Solches haben sie thun müssen: Aber bald darauf sich nicht halten können sondern das Wasser mit den gegessenen Feigen wiederum aus dem Leibe gespiehen. Da hat der Herr gesehen / wer die rechten Thäter und Feigenfresser gewesen. Ist also Æsopus der Straffe entgangen: Seine Mitknechte aber sind jämmerlich mit Ruthen gestrichen worden. Auf eine andere Zeit ward Æsopus, beneben etlichen anderen leibeigenen Knechten von seinem Herrn auf einen Jahrmarckt gesandt / dahin sie auf ihrem Rücken tragen solten etliche grosse Bündel und Körbe voller Kauffmanns-Waaren. Nun vergönte der Herr dem Æsopo, eine von den Bürden zu nehmen[114] / welcher er wolte / und was ihm gefiele: Da nahm er den allergrösten Korb / gefüllet mit Brod und Speise zur Reise nöthig / und ließ die kleinesten stehen. Seine Mitknechte lachten ihn deßhalben aus / und meyneten / er hätte närrisch gethan. Aber wie sie eine halbe Tage-Reise gegangen / und zu Mittage essen solten / da bracht Æsopus seinen grossen Korb mit Profiant herfür / und nachdem sie alle gegessen / ward der Korb halb leer / und nur halb so schwer wie vorhin. Da hat ihn Æsopus wiederum auf seine Schultern genommen / und weil er viel leichter zu tragen hatte, als alle andere / ist er weit vorhin gegangen. Zu Abend ist Æsopi Korb gantz leer worden. Derohalben er des andern Tages nicht mehr zu tragen gehabt / als einen ledigen Korb / darüber die andern Knechte zum Theil auf Æsopum ungeduldig worden / zum Theil aber Æsopi Klugheit gemercket.


Ein jeglicher siehet auf seine Schantz. Es steckt offt in einem / was man in ihm nicht gesucht hätte.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 113-115.
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