65. Die sieben weisen Meister aus Griechenland.

[107] In Griechenland sind vormals gewesen sieben Männer / welche mit ihre Weißheit / Tugend und trefflichen Lehren und Leben das Lob erlanget daß sie genennet worden die sieben Weisen. Derselben[107] Nahmen sind diese: 1. Thales. 2. Solon. 3. Chilon. 4. Pittacus. 5. Bias. 6. Cleobulus. 7. Periander.

1. Der Erste / genannt Thales Milesius (weil er aus der Insul Mileto bürtig /) ist ein erfahrner und berühmter Sternseher gewesen; Dahero wie er bey Nachtzeiten die Sterne auf einmal zu besehen ausgegangen / und unversehens in eine Grube gefallen / ist er von einem alten Weibe mit diesen Worten verspottet worden: Was bildest du dir ein / ô Thales, den Himmel / und was darinnen ist / zu erforschen / da du doch nicht einmal weist / was dir nahe bey und für den Füssen? Thales ist auch erfahren gewesen in der Wissenschafft natürlicher Dinge. Dann wie er er wolte dermaleins beweisen / daß es einem weisen und gelehrten Manne reich zu werden gar leicht wäre / da hat er aus der Natur gesehen / daß das folgende Jahr sehr unfruchtbar und das Oel gar teuer werden würde. Hat derohalben alles Oel / welches sehr wolfeil gewesen / zusammen gekaufft / und es biß aufs folgende Jahr liegen lassen / da er es dann gar theuer und hoch verkauffet. Seiner Weißheit halber ist er so sehr berühmet gewesen / daß auch dieses Lob das gantze Griechenland selber ihm gegeben. Dann als auf einmal seine Lands-Leute (die Miletischen Fischer) ihre Netze auswurffen in die See / Fische zu fahen / kamen zu denselben etliche junge Gesellen aus Jonia, und accordirten ihnen / was sie ihnen geben solten für den ersten Wurff / den sie thun würden in ihrem Fischen? Und sind eins geworden um eine grosse Summa Geldes. Wie sie nun das Netze ausgeworffen /da haben sie nicht allein darinnen Fische bekommen /sondern auch einen güldenen Dreyfuß / oder (wie andere schreiben) einen güldenen[108] Tisch / andere einen Becher. Uber diesen güldenen Dreyfuß haben sie sich nicht vertragen können. Seynd derohalben gereiset nach der Stadt Delphos, und den Abgott und Wahrsager-Bild des Gottes Apollinis gefraget / weme man diesen Dreyfuß solte geben? Das Oraculum hat geantwortet: Man gebe ihn dem Allerweisesten. Da hat man denselben güldenen Dreyfuß dem Thaleti hingebracht. Der hat sich solcher Ehre nicht gewürdiget /sondern ihn geschicket dem Soloni; Solon ferner dem Chiloni, und so fortan: Biß daß endlich der Dreyfuß wiederum kommen ist an den Thaletem: Der hat angeordnet / man solte dem Dreyfuß dem Gott Apollini selbst opffern / als dem Allerweisesten. Welches dann auch geschehen. Und ist dahero genommen die Art zu reden / quasi ex Tripode dictum: Das ist / es ist eben so wahr / als wanns der Gott Apollo selber aus seinem güldenen Dreyfuß gesagt hatte. Von diesem Thalete wird auch ferner geschrieben / daß / wie er gefragt ward / warum er kein Weib nehme? Er geantwortet: Es wäre noch nicht Zeit. Und wie er abermal über etliche Jahre eben so gefraget worden / geantwortet: Es wäre nun zu späte: Die Zeit wäre jetzt alle fürbey. Um dreyerley Ursachen hat er pflegen den Göttern zu dancken: Erstlich / daß er wäre ein Mensch und kein unvernünfftig Thier: Zum andern /daß er wäre ein Mann / und keine Frau: Zum dritten /daß er wäre ein Grieche und nicht ein Barbarer. Denn die Griechen hielten sich höher / als alle Völcker auf Erden: Von ihm ist auch hergekommen das edle und güldene Wort / Nosce teipsum, welches man hernachmals mit güldenen Buchstaben auf die Thür des Delphischen Tempels geschrieben und gegraben hat.[109]

2. Solon Salaminius, (welcher bürtig aus der Stadt Salamine,) ist der ander gewesen unter den sieben Weisen aus Griechenland. Hat mit dem reichen König Crœso viel zu thun gehabt / davon wir anderswo etwas erzehlet. Der Crœsus hielt sich für dem glückseligsten Menschen auf der gantzen Welt wegen seiner grossen Macht / Reichthum und Herrlichkeit. Solon aber sagte ihm ins Angesicht: Er hielte die geringen Leute / und verstorbene Bürger zu Athen, Tellum, Cleobin und Bironem viel glückseliger als Crœsum: Denn kein Mensch könte glückselig genennet werden / ehe denn er glückselig gestorben: Derselbe Crœsus hatte sich auf das allerköstlichste mit Königlicher Zierde angethan / und saß auf seinem Königlichen Stuel / fragte den Solonem, ob er auch sein Lebenlang ein schöners Spectaculum gesehen? Da hat Solon lachend gesaget: Warlich die Pfauen / Fasanen und Hauß-Hahnen seynd viel schöner / als du mit aller deiner Zierde. Denn derselben Thiere Schmuck ist natürlich / deiner aber nur von aussen angesetzet. Es pflag der Solon die Gesetze zu vergleichen den Spinnweben / in welchen / was leicht ist / behangen bleibet / das aber schwer ist / hindurch fället / und wird dadurch nicht aufgehalten.

3. Chilon Lacedæmonius, (in der Stadt Sparta /sonst Lacedämon genannt / gebohren:) ist der dritte Weise aus Græcia. Derselbe hat zwar viel weise Sprüche geredet und geschrieben / unter denen dieser nicht der geringste: Nemlich das Gold würde probiret durch den Strich-Stein / obs gut oder böse? Die Menschen aber würden erkennet durchs Gold / ob sie gut oder böse / treu oder untreu wären?[110]

4. Pittacus Mitylenæus, von Mitylene bürtig / ist berühmt wegen folgender Sprüche: Er sagte / derselbe wäre weise und vernünfftig / welcher das Unglück zuvor sehen und verhüten könte / ehe es käme. Der selbe wäre behertzt und starck / der mit gedultigen Hertzen das Unglück ertrüge / wanns nun gekommen wäre. Einsmals ward Pittacus gefraget von einem jungen Gesellen / welcher freyen wolte und zwo Bräute hatte. Eine die ihm gleich war an Geschlecht und Gütern: die andere viel höher und reicher / als er / welche unter diesen beyden er zur Ehe nehmen solte? Da hat Pittacus geantwortet: Mein Freund / geh nach den Knaben / die auf der Gassen spielen / von denselben wirst du erlernen was dir zu thun. Der Gesell gieng hin und fand die Knaben spielen ein Spiel / welches in Griechenland gebräuchlich war / und heisset τὴν κατὰ σαυτὸν ἒλα, das ist: Tu tibi sume parem: Daraus also der Jüngling verstanden / was ihm zu thun wäre. Und hat des Pittaci Rath und Lehre gefolget.

5. Bias Prienæus, dessen Vaterland Priene gewesen / eine Stadt den Thebanern zugehörig; wie dieselbe Stadt vom Könige Halyatta hart belägert / und durch grossen Hunger so geängstiget ward / daß sie sich bald muste ergeben / hat Bias zweene Maul-Esel aufs beste speisen und füttern lassen / biß sie schön und feist worden / dieselbe dem Halyatti ins Läger gesandt / welcher / wie er die Thiere so wohlgestalt gesehen / alsbald gedacht hat / die Menschen würden in der Stadt noch genug zu essen und keinen Mangel haben: Auch darum gedacht / die Stadt und die Belägerung zu verlassen / doch also / daß er zuvor einen Boten in die Stadt gesandt / der sehen solte wie es zustünde; da hat Bias einen[111] Hauffen Sandes überall bedecken lassen mit Weitzen / und solches dem Boten gezeiget. Derselbe hat gemeynet / es wäre eitel Weitzen: Derohalben diese Zeitung dem Könige Halyatti gebracht / der alsbald die Stadt verlassen hat. Doch für seinem Abzuge den Biantem bitten lassen, er wolte zu ihm kommen. Bias hat ihm zur Antwort gegeben: Ich befehle dem Halyatti, daß er Zwiebeln esse: Das ist / daß er sein Unglück beweine: Denn die Griechischen Zwiebeln seynd so scharff / daß deme /der sie isset / die Augen thränen. Bias fuhr einmal auf der See / da viel gottloser Buben mit im Schiff waren: Und wie ein grosses Ungewitter und Sturm entstund /also / daß das Schiff wolte untergehen; Fiengen die Buben an die Götter anzuruffen. Bias aber sprach: O schweiget stille / und ruffet nicht: Auf daß die Götter nicht hören / daß ihr allhier seyd / sonst würden sie euch eurer Boßheit halben verderben und untergehen lassen / und mich mit euch. Er saget auch / er wolte lieber Richter seyn / und eine Sache urtheilen zwischen seinen Feinden / als seinen Freunden. Dann (sprach er) urtheile ich unter zwey Freunden / so wird der eine unter denselben gewiß mein Feind / da er zuvor mein Freund war: Urtheile ich aber unter meinen Feinden / so wird der eine gewißlich mein Freund / der zuvor mein Feind war.

6. Cleobulus Lyndius ist derselbe / welcher dieses folgende Rätzel in Griechischen Versen geschrieben: Es ist ein Vater / der hat zwölff Kinder; Jegliches Kind hat dreyßig Töchter / derer halber Theil ist weiß / die ander Helfft ist schwartz / und ob sie wol alle sterben / so bleiben sie doch alle immer für und für. Bedeut das Jahr / welches hat zwölff Monat: Ein Monat dreyssig[112] Tage: Die bestehen im Licht und Finsterniß: Und ob sie schon vergehen / so kommen doch allezeit andere Tage wieder.

7. Periander Corinthius von Corintho / ist der siebende und letzte Weise aus Græcia: Er hat gewolt /daß kein Mensch wissen solte / ob er begraben wäre: Derhalben er ein solch Stratagema gebrauchet: Er hat zwey Knechte gemiethet / und denen befohlen / sie solten zu Nacht ausgehen / an einen gewissen Ort /ausserhalb der Stadt / da würde ihnen ein Mensch begegnen / den solten sie tödten / und beyseits in die Erde begraben: Darnach hat er vier andere Jünglinge bestellet / die solten dieselbe Nacht auch ausgehen an denselben Ort / und die zween vorigen Knechte umbringen: Ferner hat er zehen andere bestellet / die solten die jetztgedachte vier umbringen. Wie nun die bestimmte Zeit kommen / ist Periander hingegangen /und also von den zween Knechten erschlagen und begraben worden: Die zween Knechte seynd von den vier Jünglingen hinwieder umbracht / und diese viere von den zehen letztern gleichermassen erwürget / und also Periander getödtet und begraben worden / daß niemand gewust / an welchem Orte.


Durch Weisheit wird man berühmt / und erlanget unsterbliches Lob. Die Weisheit hat Alphonsus genannt eine Tochter GOttes / die uns allein könne zur Unsterblichkeit bringen / dieselbe sey auch unter allen Thieren allein dem Menschen gegeben.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 107-113.
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