64. Von der strengen Justitz des [105] Seleuci und des Cambysis.

Seleucus, ein König der Locrenser / hat unter andern herrlichen Gesetzen / die er zu Unterhaltung seiner Unterthanen gemacht / auch ein solch Edict ausgehen lassen / daß / welcher öffentlich betroffen würde im Ehebruch / man demselben solte beyde Augen ausstechen Kurtz nach Publicirung dieses Gesetzes begab sichs daß des Seleuci einiger Sohn in solcher Schande und Sünde ergriffen ward: Wie er nun gebrach ward für seinen Vater den König / und ihm der Ehebruch ward überwiesen / wurde er zugleich verurtheilet von seinem Vater / daß / nach laut des Edicts / er soll gestraffet / und ihm die Augen ausgestochen werden. Aber das gemeine Volck und der gantze Hauffe der Unterthanen / weil sie ein Mitleiden hatten mit diesem frommen Könige / angesehen seine löbliche Regierung und grosse Wohlthaten / welche er dem gemeinen Besten erzeiget / traten einhellig für den König /bat er möchte seinem Sohn diesen Fehl vergeben /und ohne Verletzung seiner Augen los lassen. Der gute König Seleucus, so viel er sich auch beflissen seine Unterthanen zu überreden / von ihrer Bitte abzulassen. Des gegebenen Gesetzes Gerechtigkeit könte nicht leiden einige Exception: So hat doch das Volck nicht ablassen wollen / sondern ferner bey ihm bittlich angehalten um Loßlassung seines Sohns. Seleucus sich sehend so hart gedrungen von seinen Unterthanen auf daß er zum Theil denselben zu Willen lebete / zu Theil sein Gesetz unverletzt erhielte / ist auf ein Theatrum gestiegen / und in Gegenwart des gantzen Volckes mit überaus grosser Hertzhafftigkeit / erstlich ihm selber[106] das eine Auge aus dem Kopffe gerissen: Alsbald seinem Sohn auch ein Auge mit gleicher Standhafftigkeit heraus gerissen / und damit anzeigen wollen / daß Fürsten und Herren / wann sie Gesetze machen / selbst die ersten seyn sollen / welche sich bemühen / die Gesetze unverletzt zu halten.

Vom Cambyse schreibet Herodotus, daß er sehr beflissen gewesen / zu straffen die ungerechten Richter. Auf einmal ward bey ihm angegeben einer mit Nahmen Sisana, welcher mit Gelde sich hatte bestechen lassen / und ein ungerechtes Urtheil abgefasset. Den hat Cambyses zur Stund nehmen / und ihm lebendig die Haut abziehen / dieselbe mit Nägeln an den Richter-Stuhl fest anschlagen / und denselben damit bedecken lassen / auch angeordnet / daß es zu ewigen Zeiten also verbleiben solte / auf daß durch dieses Spectacul die Richter von der Ungerechtigkeit abgeschrecket würden. Hat auch darneben befohlen und angeordnet / daß des Sisana Sohn solte an seines Vaters Stelle zum Richter erwehlet werden / und auf obgedachtem Stuhl / und seines Vaters Haut sitzen /auf daß er desto fleißiger und sorgfältiger die heilige Justitiam handhabete.


Gar zu streng ist allezeit nicht lobens werth. Summa jus sæpe summam injuria Seneca spricht: Man müsse die Gerechtigkeit also behandhaben, daß dieselbige wegen gar zu grosser Hinläßigkeit nicht verachtet und vernichtet / oder auch wegen grosser Strenge verhäßig gemachet werde.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 105-107.
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