63. Exempel rechtfertiger Leute.

[103] Wie Alexander Magnus mit seiner Macht und Kriegs-Gewalt den Erdboden überzoge / und viel Städte und Länder unter sein Gebiet brachte / trug es sich zu / daß er auf einmal verborgener und unbekannter Weise in eine Stadt kam. Auf daß er aber vernehme / ob man auch die Gerechtigkeit allda handhabete / gieng er selbst (doch von niemand erkannt) auf das Rathhauß / und hörete allda zu / wie die Leute für dem Gerichte ihre Sachen vorbrachten. Da hörete er einen reden auf solche Art: Herr Richter / ich habe von diesem Manne / hie zugegen / ein Hauß gekaufft; und wie ich darinnen habe graben lassen / einen Keller zu machen / da habe ich gefunden einen grossen Schatz vom Gelde / welchen ich ihn alsbald wiedergeben wollen / sintemal er mir nicht zugehöret; Er aber hat ihn nicht anzunehmen begehret: Darum bringe ich denselben Schatz anhero / und bitte / ihr wollet diesen Mann zwingen und ihm gebieten / daß er annehme /was sein ist: Denn ich habe gantz kein Recht am Schatze. Der Richter befahl dem andern Theil / seine Verantwortung zu thun; Der sprach: Herr / seyd versichert / daß der Schatz / welchen dieser gefunden hat /ist niemals mein gewesen. Zwar das Hauß habe ich bauen lassen; Aber die Stätte war ein gemeiner Platz /darauf ein jeglicher bauen könte. Derhalben habe ich keine rechtmäßige Ursache den Schatz zu nehmen. Auf diese Art disputirten sie so lange / biß daß sie endlich beyde des Raths wurden / sie wolten den Schatz dem Richter in die Hände geben. Der Richter aber sprach: Ihr bekennet beyde mit eurem eigenem Munde / daß euch der Schatz nicht zugehöre / da er doch in euren Häusern gefunden: Unter was[104] Schein solt ich ihn denn zu mir nehmen / der ich allhier fremd bin / und niemals von solchem Handel reden gehöret? Davor behüten mich die Götter / daß ich mich nicht fremdes Gutes anmasse! Ihr schiebet die gantze Sache meinem Amte und meinem Gewissen heim. Wolan /ich muß einen Rath finden. Hierauf fragte er den einen von den streitenden Männern / ob er nicht einen Sohn hätte? Der antwortete: Ja. Den andern fragt er gleichfalls / ob er nicht eine Tochter hätte? Der sagt auch ja. Da sprach der Richter: Das schicket sich eben recht /ich urtheile / daß dein Sohn diese Tochter zur Ehe nehme / und ich gebe ihnen den gefundenen Schatz zum Braut-Schatze. Wie Alexander Magnus das alles angehöret / ward er von grosser Verwunderung gleichsam entzücket / und erstarret ob der reiffen und vernünfftigen-Deliberation: Konte sich ferner nicht enthalten / sondern brach heraus und sprach überlaut: Ich hätte nicht gegläubet / daß an einem Ort auf der Welt Leute wären / die die Gerechtigkeit so sehr handhabeten / als diese thun. Der Richter / welcher ihn nicht kannte / noch wuste / wer er war / antwortete ihm: Ist es auch möglich / daß Leute gefunden werden / die anders thun? Ja warlich / sprach Alexander, zum offtermal und an vielen Orten. Der Richter verwunderte sich und sprach: Ob an solchen Oertern die Götter auch Regen fallen liessen / und ob auch die Sonne allda ihre Strahlen gebe? Als wolt er sagen / daß GOtt noch Regen und Sonnenschein geben solte den Leuten / die die Gerechtigkeit nicht in acht nehmen / wie es sich gebühret.


Gerechtigkeit ist ein Grund und Ursprung aller Tugend / und aller Glückseligkeit / dahero der Teuffel selbst keinen bessern Vers im Buche gefunden / als diesen: Discite justitiam moniti, & non temnere divos.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 103-105.
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