62. Vom grossen Platonischen Jahr.

[101] Es haben die Sternseher unterschiedliche Art von Jahren bestellet. Etliche nennen sie Sonnen-Jahr / welche beschrieben und regieret werden von der Sonnen-Lauff / nemlich die Zeit von einem Vorjahr biß zum andern / oder von einem Sommer biß zum andern; Da unterdessen die Sonne den gantzen Thier-Kreiß durchläufft / und wiederkommet an dasselbige Punct /davon sie zu lauffen angefangen. Dieses Jahrs Länge ist 365. Tage und 6 Stunden. Ferner so haben sie noch eine andere Art von Jahren / die sie nicht nach der Sonnen regieret / sondern nach den Fix-Sternen am Firmament / denn dieselben haben auch ihren eignen Lauff. Wann nun alle die Fix-Sterne den Himmel so herum gelauffen / daß sie wiederum kommen an den Ort / da sie am allerersten gestanden / so ist verflossen ein Jahr / welches genennet wird Annus Siderius, oder das grosse Platonische Jahr: Und geschicht solches innerhalb 48. tausend gemeinen oder Sonnen-Jahren / nach der Meynung des Platonis. Von diesem grossen Welt-Jahr hat Plato geschrieben / wann solches verflossen / so soll alles wiederum kommen / wie es zuvor gewesen ist. Zum Exempel / über 48. tausend Jahr soll ich und du / und er / eben so leben / so stehen / gehen / so gekleidet seyn / so reden und schreiben / als wir jetzund in dieser Stunde thun. Summa: Alles was jetzund ist / soll damals auch seyn / nichts geändert. Dieses ist nur ein erdichtetes Ding und Fantasey. Denn die Welt nicht über 7000. Jahr /ich geschweige über 48. tausend Jahr stehen wird. Von diesem Anno magno mundano, Sidereo, Platonico, muß ich euch eine kurtzweilige Historiam erzehlen. Zweene Studenten reiseten auf[102] eine Zeit / und kamen zur Herberge bey einer Wirthin / die eine Wittwe war / unter Essens fiengen die beyden Studenten an zu reden und zu disputiren von dem grossen Platonischen Welt-Jahr; Wie nemlich / wenn solches zum Ende / alles würde eben so wiederum gestalt seyn / als es anietzo ist. Wie sie nun vermerckten / daß die Wirthin ihren Reden mit Verwunderung zuhörete / hat der eine unter demselben / dieselbe auf diese Art angeredet: Liebe Wirthin / wir zweene arme Studiosi haben wenig Geld bey uns: Denn unser Patrimonium ist im Studiren alles drauf gegangen: Wann ihr nun wollet mit uns Gedult haben / und so lange verharren mit der Bezahlung / biß das grosse Welt-Jahr zum Ende geflossen / so wollen wir euch alsdenn richtig und mit Danck geben / was wir schuldig seyn / weil wir doch eben alsdenn hie an diesem Orte / eben zu dieser Stunde / wir selbst in Person / und ihr / uns wiederum werden zusammen finden / und eben so reden / wie wir jetzund thun. Die Wirthin bedachte sich nicht lange / war spitzfindig und sprach: Ihr lieben Studenten / ich will mit euch zufrieden seyn / biß auf das zukünfftige grosse Welt-Jahr. Aber ihr müsset mir erst zahlen für das abgewichene grosse Welt-Jahr. Denn für 48. tausend Jahren waren wir drey auch allhier zusammen / eben wie jetzund / und ich verborgete euch damals / das bezahlet mir erstlich / alsdann will ich mit euch zufrieden seyn.


Also ward List mit List vergolten / und musten die Studenten ihre Zeche zahlen / ehe sie von dannen giengen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 101-103.
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