61. Weissagung aus dem Vogelfliegen.

[100] Die alten Lateiner und Griechen haben grosse Achtung gegeben auf das Fliegen und Geschrey der Vögel / und daraus zukünfftige Dinge / gute oder böse / dadurch die Vögel zur rechten oder lincken Hand geflogen oder gesessen seyn / verkündigen wollen. Virgilius in seinem Bauer-Gespräch sagte also:


Sæpe sinistra cavâ prædixit ab ilice cornix.


Solche Weissagungen haben sie genennet augurium oder auspicium, von dem Anschauen der Vögel, quasiavium aspectum. Daß aber solche Aufmerckung oder Aberglaube eine grosse Thorheit sey / ist aus folgender Historia zu sehen / welche erzehlet wird vom Josepho im Buche contra Appionem.

Als der grosse Alexander mit seinem Kriegs-Heer[100] ans rothe Meer gekommen war / ist unter andern Reutern / so ihm mit nachfolgeten / ein Jude gewesen /mit Nahmen Mosellanus, ein behertzter Mann / und der beste Schütze unter dem gantzen Hauffen. Nun trug es sich zu / wie das Kriegs-Heer fortzoge / daß ein Wahrsager Achtung gab auf der Vögel Fliegen und Geschrey: Rieff / man solte stille halten. Der Jude Mosellanus fragte / warum man solte stille halten? Der Wahrsager antwortete: Er sehe einen Vogel (zeigete hiemit denselben) und sagte: Wann der sitzen bliebe / so wäre es zu rathen / daß sie alle stille hielten: Wann er davon flöge / daß sie dann auch fortzögen: Wann er aber zurücke würde fliegen / daß auch sie zurücke ihren Zug wieder nehmen solten: Der Jude schwieg stille / zog seinen Bogen herfür / und schoß den Vogel tod. Als nun derohalben der Wahrsager und etliche andere unter den Hauffen zornig wurden /und ihn verfluchten / sprach er: Was schwärmet ihr? Was habt ihr mit den unglücklichen Vogel zu schaffen? Denn weil der sein eigen Unglück nicht zuvor gewust / wie wolt er uns von unserm Aufzuge Gutes oder Böses propheceyen? Wann er künfftige Dinge zuvor hätte sehen können / so wäre er nimmermehr an diesen Ort kommen / sondern hätte sich gefürchtet / Mosellanus der Jude möchte ihn mit seinem Pfeil erschiessen.


Die heydnischen Leute seynd recht abergläubisch gewesen / in welchen der Teuffel sein Narren- und Affen-Spiel gehalten. Denen sollen die Christen nicht nachahmen / dieweil sie aus der Schrifft wissen / daß Glück und Unglück / Leben und Tod / alles von GOtt komme.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 100-101.
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