65. Warum die alten Teutschen die Bräute mit einem Distel-Krantz gezieret haben.

[830] Man schreibet von den alten Teutschen / daß dieselben in Einleitung junger Hochzeit-Leute einen sonderbaren Brauch gehabt / indem sie die Bräute in die Kirchen geführet / ihnen schöne Kräntze von Disteln aufgesetzet haben. Das muß bey den Einfältigen ein wunderbares Ansehen gehabt haben: Dann ob es wol bey uns noch gebräuchlich ist / daß man die Bräute mit Kräntzen in die Kirche führet / jedoch seyn dieselbigen nicht von Disteln / sondern von köstlichen Perlen gemacht. Daß aber die Alten einen Distel-Krantz gebraucht / muß ohne sonderbare[830] Ursachen nicht geschehen seyn. Sie haben damit ohne Zweiffel gesehen / erstlichen auf des Ehestandes Lieblichkeit. Der Krantz war vor Zeiten ein Zeichen der Frölichkeit: So wird hiemit angezeiget / daß der Ehestand ein leiblicher Stand sey / darinnen Eheleute allerley Freud und Wonne haben. Freude an GOtt / Freude an sich selbsten / Freude an den Kindern. Dieser Freuden-Krantz ist geflochten mit Creutz-Disteln / welche seynd 2. die vermischte Widerwärtigkeit / daß sie in diesem Stande auch mancherley Creutz und Widerwärtigkeit müssen ausstehen: Nicht allein das gemeine Elend / das ein jeder in diesem Leben zu erwarten hat? Sondern das absonderliche Ehe- und Hauß-Creutz / so alleine die Eheleute angehet / als da sie entweder haben eine unfruchtbare Ehe / bißweilen eine fruchtbare / aber ungetreue Kinder / offt / daß der fromme Tobias hat eine (Tob. II. 20–29) böse Hannam / oder eine vernünfftige Abigail einen närrischen Nabal / da eines dem andern sein Leben sauer machet. Der Mann muß im Schweiß seines Angesichts sein Brod essen / und die Frau mit Schmertzen Kinder gebähren / etc.


Der Ehestand ist ein Wehe-Stand. Gute und lehrreiche Ceremonien soll man nicht abschaffen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 830-831.
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