1. Von [512] Papiniano einem gewissenhafften Rechts-Gelehrten.

Die Rechts-Gelehrten und Advocaten haben insgemein einen bösen Nahmen / und werden insonderheit von dem gemeinen Pöbel geschmähet / daß sie das Recht beugen wie Wachs / und Unrecht aus Recht machen nach eigenem Gefallen. Daher es auch kömmt / daß man nunmehr das Sprichwort von den Rechts-Gelehrten gebrauchet: Juristen sind böse Christen. Diese und dergleichen Schmähworte werden ohne Maaß heut zu Tage von dem unverständigen Pöbel über die Rechts-verständige ohne Unterscheid ausgegossen. Aber diejenige / welche mit besserm Verstande begabet sind / wissen besser von solchen Leuten zu urtheilen / deren kein Land noch Stadt entbehren kan. Es kan zwar nicht geleugnet werden / daß viel Zungendrescher gefunden werden / welche das Recht verkehren: Aber es ist ferne davon / daß solche solten unter die wahren Rechts-Gelehrten zu zehlen seyn / daß sie auch vielmehr als Schandflecken von denselben verworffen werden. Es ist kein Acker / auf welchem nicht auch Unkraut wächset zwischen dem Weitzen / und kein Stand / darinnen nicht Böse unter den Guten gefunden werden: Keine[512] Kunst ist / deren sich nicht etliche Boßhaffte mißbrauchen; Aber sotyane Fehler etlicher Schandflecken der Kunst oder dem gantzen Orden zuzuschreiben / ist grösser beydes Vermessenheit und Thorheit / sintemal auf solche Weise keine Kunst / kein Stand würde zu finden seyn / der nicht zu verwerffen wäre. Wir könten zwar hier unzehliche Exempel anführen derjenigen Rechts-Gelehrten / welche ihr Gewissen besser betrachtet / und unrechte Sachen zu vertheidigen beständig abgeschlagen haben: Wir wollen aber Kürtze halber mit dem eintzigen Papiniano, einem rechten Muster und Vorgänger aller Rechtsverständigen / dißmal zufrieden seyn.

Es ließ der Käyser Caracalla seinen jungen Bruder Septimium Getam, welchen der Vater zum Gehülffen des Reichs in seinem Testament dem Caracalla zugeordnet hatte / tyrannischer Weise in seiner Mutter Armen umbringen / so daß die Mutter mit dem unschuldigen Blut gäntzlich besprützt ward. Auf daß sich nun Caracalla bey dem Volck etlicher massen von diesem begangenen Bruder-Mord entschuldigen möchte / hat er den Æmilium Papinianum, seinen Hof-Marschall / einen sehr verständigen Rechts-Gelehrten / vermahnet und geheissen / diese schändliche That aus den Rechten zu vertheidigen. Aber dieser fürtreffliche Mann wuste wol / daß solcher tyrannische Mord der Natur selbst und den beschriebenen Rechten zuwider war / schlug derhalben solch unbillich Begehren mit diesen sehr lieblichen Worten ab: Es ist nicht so leicht / O Käyser / einen Bruder-Mord beym dem Volck zu entschuldigen / als zu begehen. Diese des Papiniano Aufrichtigkeit verdroß den Tyrannen dergestalt /[513] daß er denselben so bald hieß enthaupten. Aber diesen Tod wolte der treffliche Mann lieber ausstehen / als offenbarlich gegen sein Gewissen handeln.


In allen Ständen werden Gute und Böse gefunden: Und heißt derwegen nach dem Sprichwort: Tollatur abusus & mansat usus. Man thue den Mißbrauch hinweg / und lasse den rechten Gebrauch bleiben.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 512-514.
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