83. Von der Vergessenheit.

[626] Die Gedächtniß ist eine grosse Gabe und Gnaden-Geschenck GOttes / dadurch der Mensch wunderliche und fast unglaubliche Dinge kan ausrichten / wird aber auff vielerley Weise geschwächet / ja wol gar verschertzet. Ohne allen Zweiffel ist die Trunckenheit dem Gedächtniß sehr schädlich / wie dann Capitolinus vom Käyser Maximino meldet / daß nachdem er von dem Römischen Rath für einen Feind war erkläret worden / er sich vollgesoffen / und[626] durch solche Trunckenheit hernacher vergessen / auch sich nicht wieder erinnert hat / was vor gelauffen und ihm wiederfahren war.

Velerius Maximus am 8. Cap. seines 1. Buchs erzehlet / daß ein fürtrefflicher Mann zu Athen gewesen sey / welcher in Künsten und Sprachen sehr erfahren war / als ihm aber einsmahls ein Stein auff den Kopff gefallen sey / habe er sein Gedächtniß und Verstand so gar verlohren / daß er auch alle Buchstaben vergessen habe. Fast ein gleiches meldet Dion Cassius vom Käyser Caracalla, ob derselbe schon in der Weltweißheit so geübt gewesen / daß er nicht unbillich unter die Gelehrten gezehlet worden ist / so ist er dennoch hernach so tumm und ungeschickt am Verstand /so schwach am Gedächtniß erfunden worden / als hätte er niemahls lesen gelernet / niemahls Buchstaben gekannt oder gesehen. Mehr Exempel sind zu finden beym Plinio in seinen natürlichen Geschichten /im 7. Buch am 24. Capitel / da er unter andern eines Menschen gedencket / dessen Gedächtniß von einem Falle dermassen ist beschädiget worden / daß er nicht allein seiner Blutsverwandten und Schwäger / sondern auch seiner leiblichen Mutter und seiner Knechte Namen / welche ihm lange Zeit gedienet hatten /gäntzlich vergessen hat.

Keiner aber hats mehr empfunden / wie hinfällig des Menschen Gedächtniß sey / als der erfahrne Redner Messala Corvinius, welcher nach ausgestandener schweren Kranckheit seines eigenen Namens nicht mehr ist eingedenck gewesen / sondern denselben gäntzlich vergessen hat / da er doch vorher wol und zierlich verfertigte Reden auswendig daher gesagt hatte / wie gedachter Plinius und Solinus bezeugen.


[627] Auff Erden ist kein Ding fest oder beständig / darum kan der Mensch GOtt nicht gnugsam dancken / welcher nicht nur mit guten Gaben von demselben gezieret ist /sondern auch welchen GOtt dabey erhält.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 626-628.
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