5. Clorinda bewäinet ihre Sünde/ und fühlet allgemach die Süßigkeit des himmlischen Trosts

Caput meum plenum est rore, & cincinni mei guttis noctium.

Cant. 5. v. 3.


Nein Haupt ist voll des Taus/ und meine Haarlocken der Tropffen.


1.

Meine Augen/

Die voll weicher Perlen stehn/

Mir nun taugen

Nach des Daphnis Gnad zu gehn:

O ihr Thränen

Fliesset häuffig früh/ und spaht/

Zu versöhnen

Meiner Sünden Missethat.


2.

Agar wäinte

Umb den lieben Ismaël,1

Daß sie scheinte

Auffzugeben ihre Seel/

Sie verzagte

Schier um ihr tod-schwaches Kind/[147]

Aber klagte

Ihre Plag dem lähren Wind.


3.

Von dem Brunnen

Vieler heisser Zähern war'2

Uberrunnen

Jacobs Leib fast immerdar/

Ihn bekränckte

Sein verlohrner Joseph hart/

Schier vertränckte

In den Thränen seinen Bart.


4.

Das verbeinte

Gottloß Israëliter-Volck3

Dorten wäinte/

Wie ein ausgebrochne Wolck/

Ihre Thränen

Flossen nach Aegypten-Land

Nach dem schönen

Knoblauch-reichen Ubelstand.


5.

Als durch Flammen/4

Wie ein dürres Holtz-Gehäg/

Dort zusammen

Eingefallen Siceleg,

Wäinte kläglich

David sammt dem gantzen Heer5[148]

So unsäglich/

Daß kein Zäher übrig mehr.


6.

Heisse Zäher

Hat mit grossem Läid beschwärt/

Der Vorseher6

Hieremias ausgelährt/7

Als vor Zeiten

Er der Stadt Jerusalem

Müßt andeuten

Ihre Blut- und Thränen-Schwemm.


7.

Gantze Bäche

Wäinte David auch so gar8

Als der freche

Absolon erstochen war'/

Weil er wüßte/

Daß sein Gott-vergeßner Sohn

Büssen müßte

In dem tieffen Acheron9


8.

Ohn' auffhören

Wäinte Petrus immerfort/10

Zu verstöhren

War' er auch an keinem Ort/

Endlich haben[149]

Ihm die Thränen eine Furch

Auffgegraben

Durch die Wangen durch und durch.


9.

Der gezierte

Wunden-Träger von Assis11

Offt verliehrte

Sein Gesicht durch Thränen-Güß!

Er bewäinte

Daphnis Tod so schmertzlich sehr/

Daß er scheinte

Zu zerrinnen in ein Meer.


10.

Diese Thränen

Möcht ich ihnen allzumal

Abentlehnen

Zu versencken meine Qual:

Gantz zerfliessen

Müßte auch so gar mein Hirn/

Wasser giessen

Wie des Wassermanns Gestirn.12


11.

Ich will wäinen/

Wie ein Mutter-loses Kind;

Mit der reinen

Fara werden endlich blind/13[150]

Die erblinden

Lieber wolt' aus grosser Scham/

Als verbinden

Sich mit einem Bräutigam.


12.

Meine Glieder

Sollen trieffen immerdar/

Dem Geschlüder

Gleich von angefangnem Jahr;

Meine Wangen

Sollen von der Sünd beschämmt

Wegen langen

Wäinens werden überschwemmt.


13.

Ich will machen

Mir ein eignes Thränen-Teich/

Und verlachen

Den Neptun in seinem Reich/14

Will im tieffen

Augen-Wasser watten her/

Also trieffen/

Als wann ich die Thetys wär.15


14.

Satte Thränen

Wird mir geben meine Reu/

Zu versöhnen

Mich mit Daphnis auff das Neu:

Wann ich meine[151]

Sünd'/ und Daphnis Lieb bedenck/16

Ich umb keine

Thränen-Armuth mich bekränck'.


15.

O ihr Sünde/

Billich muß ich hassen euch/

Dann ich finde/

Daß ihr seyt ein' böse Seuch:

Ach wie schmertzet

Ihr das Hertz/ so euer frey/

Recht behertzet/

Was da Gott erzörnen sey.


16.

Auff die Freuden/

Bald verschlucktes Linsen-Muß/

Folgt das Leyden

Einer lang- und harten Buß:17

Esau büßte

Seine kurtze Wollust lang;

Der versüßte18

Apffel macht uns allen bang.


17.

Doch ihr Büsser

Allen Schrecken von euch leint/

Dann viel süsser

Ist die Buß/ als man vermeint:

In der herben19[152]

Schelffen ist ein süsser Kern:

Trost erwerben/

Die mit Daphnis leyden gern.


18.

Was man liebet/

Ob es schon sehr hart/ und schwär/

Nicht betrübet

Wann es selbst der Tod auch wär':

Edle Ritter

Haben in dem Streit nur Lust/

Alles bitter

Ist Liebhabern unbewußt.


19.

Ey so fliesset

Stäts ihr meine Augen beyd'/

Dann versüsset

Wird dardurch mein Hertzen-Läid:

Herbe Thränen

Werden durch die Hoffnung süß/

Helffen denen/

Die gefallen/ auff die Füß.


20.

Von dem Wäinen

Will ich nimmer lassen ab/

Biß ich meinen

Daphnis gantz versöhnet hab:

Will erträncken

In den Thränen meine Sünd'/

So versencken/

Daß auch Gott sie nicht mehr find'.


Fußnoten

1 en. 21.


2 Gen. 37.


3 Num. 11.


4 1. Reg. 30.


5 Planxerunt, donec deficerent in eis Lachryma. 1. Reg. 30. v. 4.


6 Hierem. 9.


7 Thren. 1. 2. & 3.


8 2. Reg. 19. Mein Sohn Absolon, Absolon mein Sohn. v. 4.


9 Ein Fluß in der Höllen. Poët.


10 S. Clemens lib. 1. Recog.


11 Der H. Vatter Franciscus.


12 Der Wassermann gießt zwar kein Wasser/ ist doch ein Ursach grosser Wassergussen.


13 S. Fara Hagarii Tochter wäinte sich blind/ als sie sich verheyrathen solte. Ravisius, & Valent. Leucthius in vita SS. 7. Ian.


14 Neptunus der Meer-Gott.


15 Meer-Göttin. Poët.


16 Die Seel/ die da sündiget/ wird sterben. Ezech. 18. v. 4. Die Engel wurden lieber in die Verdammnuß gehn/ als Gott mit der geringsten Sünd beläidigen. in vit. Cathar. Genuen.


17 Gen, 25. in fine.


18 Gen. 3.


19 Nach der Viele meiner Schmertzen haben mich deiner Tröstungen erfreuet. Psal. 93. v. 19.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 143-144,147-153.
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