9. Clorinda fühlet allgemach/ wie lieblich der Herr/dahero sie lieber sterben/ als durch einige Widerwärtigkeit von Ihm abweichen will

Qui nos separabit à charitate Christi, tribulatio, an angustia, an fames, an nuditas, an periculum?

Rom. 8. v. 35.


Wer will uns scheiden von der Liebe Christi/ Trübsal/ oder Angst/ Hunger/ oder Blösse/ oder Gefahr.


1.

So bald der heiß-hungrige Bär/

Den lieblichen Honig vernimmt/

Umb selben (wie tölpisch auch er)

Unsteigbare Bäume beklimmt/

Und ob ihn die Immlein schon stechen/

Am Honig-Dieb dapffer sich rächen/

So laßt er von dannen doch sich

Abtreiben mit keinem Gewalt/

Verachtet die schmertzliche Stich'/

Der Honig den Schmertzen bezahlt.


2.

So bald der begierige Falck

Vermercket die seuffzende Daub/[194]

Verfolgt der arglistige Schalck

Den Felsen-zuflüchtigen Raub/

Verachtet des Falckeniers Locken/

Erhitzet auff sinnlichen Brocken/

Nachsetzet demselben so lang/

Biß daß er ihn endlich gefaßt/

Durch keinen auch tödtlichen Zwang

Von solchem abschrecken sich laßt.


3.

Wer einmal verkostet/ und schmeckt/

Wie gütig/ und lieblich der Herr/1

Denselben kein Abentheur schreckt/

Und wann es Megæra2 schon wär'/

Ja alle Gespenster der Höllen/

Wie ungeheur sie sich auch stellen/

Da müssen abweichen mit Spott/

Ablegen ihr stumpffes Gewehr;

Dann welcher sich sehnet nach Gott/

Durchdringet die feindliche Heer.3


4.

Wie stärcker alldorten ergriff'4

Und risse vom Boden hervor

Die Flut das Noëische Schiff/

Je mehr es gestiegen empor/

Durch grausames Brausen/ und Bellen

Der rasenden Winden/ und Wellen

Getrieben wurd' immer nur fort[195]

Schnell-fliegend Armenien zu/5

Nach seinem erfreulichen Port/

Und ewig-verordneter Ruh.


5.

Es könnte des Potiphars Weib/

Eydbrüchig an weiblicher Pflicht/

Den mehr als Lucrecischen Leib

Des Josephs begwältigen nicht/

Wie starck sie auch ihne bestritten

Mit strengen Anhalten/ und Bitten/6

Dann Joseph in Schützung der Zucht

Ein wahrer Freund Gottes verblieb':

Auff Parthisch mit löblicher Flucht7

Die freundliche Feindin vertrieb'.


6.

Ein treulich Gott-liebende Seel

Von ihrem Vorhaben nicht weicht/

Umbstürtzet den Höllischen Bel8

Mit Daniels Waffen gar leicht:

Gott lieben macht Zwerge zu Riesen/

Wird klärlich an David erwiesen/

Der dorten ergriffen fünff Stein

(Von Göttlichem Eyffer bewegt)9

Mit welchen er/ ob er schon klein/

Den trutzigen Riesen10 erlegt.


7.

Gleich wie der Eyßvogel die Bruht[196]

Aushäcket bey grimmigster Kält'/

Auch ihme das Wasser nichts thut/11

Bey dem er sich immer auffhält/

Auch also den/ welcher Gott liebet/

Kein einiges Unglück betrübet/

Ist wie ein felßechtes Gestad/

An welchem das starcke Gewäll

Sich gäntzlich zerstosset/ und matt

Abweichet mit lährem Gepräll.


8.

Nichts könnte den liebenden Job12

Von seinem Gott trennen jemal/

Obschon ihn der Satan sehr grob

Ergriffen mit allerhand Qual/

Obschon er ihm grausam gezwagen/

Die Häuser sammt Kindern erschlagen/

Kühe/ Rinder/ Schaaf/ Oren/ Camel

Auff einen Tag alles entführt/

Den gantzen Leib (ohne die Seel)

Mit hefftigsten Plagen berührt.


9.

Die Himmel-hoch steigende Flamm

Die fromme Hebræër nicht hat/13

Wie hoch sie auch schlagte zusamm/

Vermögen zu sündlicher That/

In Mitte der Flammen stäts haben

Gesungen die muhtige Knaben/[197]

Hingegen hat selbiges Feur

Die böse Chaldeér verzehrt:

Die Boßheit kommt Bösen sehr theur:

14Gott schützet den/ welcher Ihn ehrt.


10.

Gleich wie das beständige Gold

Im Ofen nur köstlicher wird

So/ daß ihm die Menschen gantz hold

Nachstreben mit heisser Begierd/

Wird in dem Feur immer nur feiner/

Fürtrefflicher/ schöner/ und reiner;

Auch also nimmt zu der Gerecht'

In seinem hochschätzbaren Wehrt/

Je mehr ihm durch scharffes Gefecht

Der Satan zu schaden begehrt.


11.

Wie wurd' Eleazarus nicht15

Zu sündigen nöhtlich geträngt/

Und wider die Jüdische Pflicht

Zu handlen an hefftig gestrengt;

Doch könnte das Wüten der Heyden

Von seinem Gott ihne nicht scheiden/

Kein Marter/ wie schrecklich auch sie/

Abschrecken ihne könnt' von Gott/

Wolt' eher auch sterben/ als je

Verlassen sein heiligs Gebott.


12.

So bald sich das Epheu der Maur[198]

Viel-füßig gehefftet hat an/

Dasselbig noch Regen/ noch Schaur

Hinfüro absönderen kan/

Laßt eher sich völlig zerreissen/

Ja Stuck-weiß zur Erden hinschmeissen/

Als daß es freywillig abweich'/

Von welcher es wurde gesteurt/

Womit es sein' Treu/ und zugleich

Beständige Liebe betheurt.


13.

So kan auch den Liebenden nicht

Von seinem Gott sönderen ab

Noch Schrecken/ noch scharffes Gericht/

Noch schmeichlen/ noch reitzende Gaab;

Wird lieber sein köstliches Leben/

Als seinen Gott treuloß auffgeben;

Verachtet die Freuden/ so ihm

Die schnöde Glücks-Göttin fürhält/

Als eine Sach/ welche mehr schlimm/

Dann alle Trübsalen der Welt.


14.

Viel tausend bezeugten ja diß

Mit häuffig vergossenem Blut/

Indem sie der Hencker hinriß'

Zur Marter mit grimmigem Wuht;16

Theils liessen lebendig sich schinden/

Theils an das Creutz andere binden/

Theils haben auff glüendem Rost[199]

Die stoltze Tyrannen gespilt/

Von oben mit Göttlichen Trost

In ihrer Verfolgung erfüllt.


15.

Es hat der Satan zwar sich

Bemühet mit allem Gewalt

Durch seine Versuchungen mich

Zu stürtzen auff manche Gestalt/

Doch würd ich von keiner so hefftig

Beträngt/ und bestritten so kräfftig/17

Als von dem nichtswertigen Wohn

Zu werden bey denen veracht/

Bey welchen ich/ läider! mich schon

Durch Boßheit annehmlich gemacht.


16.

Ach diese gemeine Welt-Pest

Mich hatte bethöret sehr lang/

Zurucke gehalten so vest/

Daß schwärlich zu siegen der Zwang:

Ich dencke mit Seufftzen/ und Klagen:

Was werden die Menschen doch sagen?

Wann Welt-scheuh Clorinda nunmehr

Gantz Nonnisch sich halten wird ein?

Das wird ja die gröste Unehr

Mir bey den Welt-Kinderen seyn.


17.

O wie viel/ viel tausend (sag' ich)[200]

Dem bösen Feind haben gehorcht/

Von Daphnis gesönderet sich

Krafft dieser armseligen Forcht!

Viel lieber Gott wolten mißfallen/

Als rühren den Sündern die Gallen/

Verlassen das ewige Gut/

Zu bleiben bey diesen in Huld/

Gehn also zur Höllischen Glut

Aus eigner freywilliger Schuld.


18.

Diß ware der Gordische18 Knopff/

Womit ich viel Zeiten verzehrt/

Indeme mein närrischer Kopff

Stäts wolte nur werden geehrt;

Als aber ich meine Gedancken

Gezwungen in engere Schrancken/

Betrachtend/ daß aller Welt-Gunst

Als Schatten/ vergänglicher sey/

Und wie ein auffsteigender Dunst

Im Augenblick schleiche vorbey.


19.

Als hab' ich mit starckem Entschluß

Den blöden Forcht-Teuffel veracht/

Hingegen durch Menschen-Verdruß

Mir Daphnis zum Freunde gemacht/

Als der sich ein pfleget zu stellen

Getreuer/ als jene Gesellen/[201]

Die Freunde bey lachendem Glück/

Bey rasendem keine mehr seynd/

Sich diebisch dann ziehen zurück/19

Verlassen den seuffzenden Freund.


20.

Gott aber in äusserster Noht20

Ein treuer Freund bleibet allein/

Drumb will ich im Leben und Tod

Mit ihme vereiniget seyn:

Und ob es mit seinen Feld-Heeren

Gradivus21 auch wolte verwehren/

So muß er mit seinem Gewalt

Doch endlich abweichen mit Spott;

Dann wer mich von Daphnis abhalt/

Wird müssen seyn stärcker/ als Gott.


Fußnoten

1 Quàm magna multitudo dulcedinis tuæ. Psal. 30. v. 28.


2 Höll-Gespenst.


3 Si consistant adversum me castra, non timebit cor meum Psal. 26, v. 3.


4 Gen. 7.


5 Gen. 8.


6 Gen. 39.


7 Die Parthier pflegten mit Fliehen zu siegen.


8 Ein Heydnischer Abgott. Dan. 14.


9 1. Reg. 17.


10 Goliath.


11 Non contristabit justum, quicquid acciderit ei. Prov. 12. v. 21.


12 Iob. 1. & 2.


13 Effundebatar flamma super fornacem quadraginta novem, cubitis. Dan. 3. v. 47.


14 Quicunque glorificaverit me, glorificabo eum. 2. Reg. 2. v. 30.


15 2. Math. 6.


16 So viel 1000. Blut-Zeugen Christi.


17 Menschlicher Respect/ welcher die meiste Sünder von der Bekehrung abhaltet.


18 Ein sehr verwirrter Knopff/ welchen Alexander mit dem Schwerdt auffgelößt.


19 Vnusquisque se à proximo suo custodiat, & in omni fratre suo non habeat fiduciam, etc. Isa. 9. v. 4.


20 Pater meus, & mater mea dereliquerunt me, Dominus autem assumpsit me. Psal. 26. v. 10.


21 Der Kriegs-Gott. Poët.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 189-190,194-202.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon