3. Clorinda die rauhe Tugendstraß/ und dornigen Himmels-Weeg betrachtende/ fühlet wegen widerstrebenden bösen Gewonheiten noch grosse Beschwerden/ und begehrt von Daphnis Hülff

Ego custodivi vias duras, perfice gressus meos in semitis tuis.

Psal. 16. v. 4. & 5.


Ich hab' harte Weg bewahret/ erhalte meinen Gang auf deinen Fußsteigen.


1.

Weil diese falsche Welt

Mich so tyrannisch hält/

Daß es nicht zu erzehlen/

Als will ich mir die Reyß

Nach jenem Erden-Kreyß/

Der besser ist/ erwehlen/

Nach dem gelobten Land

Der höchst-beglückten Erden/

Die frey von allerhand

Betrübnuß/ und Beschwerden.


2.

Ach aber so viel Weeg/

So viel der bösen Steeg/

Schier einer an dem andern/

Der eine hier/ der her[123]

Mir wöllen fallen schwär/

Weißloß dahin zu wandern:

Zu dem so find' ich auch/

Daß über alle massen

Gefährlich hart und rauch

Die Ubung dieser Strassen.


3.

Der Weg/ so von Trœcen

Sich zieht biß auff Athen,

Wo Schinis sich enthalten/

Der blutige Tyrann/

So manchem Wandersmann

Den müden Kopff zerspalten/

Ist nicht so kümmerlich/

Wie meine Straß zu räisen/

Dann jene liesse sich/

Die aber nicht umbkräisen.


4.

Der Weg nach Hiericho.

Bey weitem ist nicht so

Voll mörderischer Buben/

Allwo getroffen an

Der fromm Samaritan

Den Krancken in der Gruben:

Alldorten wurde zwar

Des Menschen Leib verletzet/

Hier aber wird so gar

Den Seelen nachgesetzet.
[124]

5.

Nicht ist zu finden bald

Auff gantzer Welt ein Wald/

Der mehr Leut hingenommen/

Als der im Böhmer-Land/

Allwo des Mörders Hand

Man schwärlich möcht entkommen/

Wo aber dorten war'

Ein kleine Zahl der Mördern/

Ist da ein gantze Schar

Zur Höll mich zu befördern.


6.

Von Wegs-Unsicherheit

Ist ruchtbar/ und verschreyt

Arabia,1 vor allen/

Dieweil alldorten offt

Die Menschen unverhofft/

Gleich wie die Stöck'/ hinfallen/

Indem der gähe Wind

Mit bergigem Sand-Hauffen

Anstürmet so geschwind/

Daß niemand kan entlauffen.


7.

Gantz Lybien ist zwar

Ein stähte Todten-Bar'

Von wegen vieler Löwen/2[125]

Die offt nach sattem Fraß

Die Blut-besprengte Straß

Mit Menschen-Fleisch bestrewen:

Hier aber ist ein Heer

Der Cerberischen Hunden/3

Welche begierig sehr/

Mich tödtlich zu verwunden.


8.

Ein sehr unsichers Land

Ist das am Nilus-Strand4

Ursach der Crocodilen/

Die dorten am Gestatt/

Des Menschen-Fleisches satt/

Noch mit den Knochen spihlen/

Hier ist das Crocodil

Die Welt/ so offt betrogen

Der armen Seelen vil/

Und nach der Höll gezogen.


9.

Von Schlangen wurd' bethört/

Ja endlich gar verstört

Die schöne Stadt Amicle,5

Mit welchen Thieren Ich

Euridice nun mich6

Gar ungern mich verwickle;

Hier ist die alte Schlang/[126]

Den armen Adams-Kindern

Den glücklichen Zugang

Des Himmels zu verhindern.


10.

Auff dem Sicilier-Meer

Ist es gefährlich sehr

Zwar wegen der Sirenen,7

So manches Schiff zu grund

Mit Lachen/ Schertzen/ und

Mit süssem Singen hönen:

Hier singt die Welt-Siren

Mit Zucker-süsser Kählen/

Wodurch zu scheittern gehn

Viel tausend arme Seelen.


11.

Bey Scilla, und Charibd8

Es viel zu schaffen gibt

Schad-loß hindurch zu schiffen/

Dann weil die Klippen eng/

Der Wind hingegen streng/

Wird man dort hart ergriffen:

Die Welt/ das böse Meer/

Pflegt an den Glücks-Gebürgen/

Und Felsen eitler Ehr

Die Seelen zu erwürgen.


12.

Ich glaub'/ es sey kein Reich

Auff Erden jemahl gleich[127]

Dem Colchischen gewesen/

Allwo an Phasis Rand9

Das Gold/ wie kleines Sand/

Wurd' häuffig auffgelesen;

Zudem war' es beglückt

Mit Uberfluß der Früchten/

So reich war angespickt

Das Præster-Feld mit nichten.10


13.

In dieser Landschafft war'

Ein Fehl von göldnem Haar/11

Ein Schatz von grossem Wunder/

Von dessen Bildnuß hoch

Zu unsern Zeiten noch

Sich rühmen die Burgunder;

Aus welchem allem dann

Ein jeder Mensch kan schliessen/

Daß es/ wie Canaan,12

Von Honig müsse fliessen.


14.

Weil aber diese Erd

Mit einer gantzen Herd13

Der Abentheur umbgeben/

Als sind viel Ritters-Leut/

Erhitzt auff diese Beut/

Dort kommen umb ihr Leben;[128]

Ein wildes Oxen-Heer14

Den Paß zum Land verhütet;

Ein Segel-loses Meer15

Auff sein Gestad zuwütet.


15.

Und wann schon allbereit

Durch Stärck/ und Dapfferkeit

Diß alles überwunden/

Hat alsdann endlich vor

Des Mavors Tempels-Thor16

Ein Drack sich noch befunden/

So diesen reichen Schatz

Mit Feur/ und Gifft beschützet/

Vor wessen Widersatz

Sich viel zu tod geschwitzet.


16.

Dem schönen Reich/ wohin

Ich Segel-fertig bin/

Das Colchische muß weichen/

Dem auch die gantze Welt?

Sammt was sie in sich hält/

Durchaus nicht zu vergleichen/

Dann dieses alles ist

In Schätzung jener Freuden

Nichts/ als nur Koht und Mist

Nichts/ als nur Schmertz/ und Leyden.


17.

Der Weg/ ach aber ach!17[129]

Dahin ist Ungemach/

Und überaus beschwärlich/

Ja wegen Abentheur/

So sich da ungeheur

Erzeigen sehr gefährlich!

Indem das Höll-Geschmeiß18

Mir trutzig steht entgegen/

In meiner Himmels-Räiß

Den Durchzug zu verlegen.


18.

O schröcklicher Gewalt!

O starcker Hinderhalt

Der böß-gewohnten Sitten/19

Von welchen ich so sehr/

Wie starck ich mich auch wehr'/

Werd' immerdar bestritten!

Gewohnheit ist ein Ding/

Voraus bey jungen Leuten/

So einzupflantzen ring/

Und schwärlich auszureuten.


19.

Weil aber diese Straß

Dem wilden Seelen-Fraß/

Der Höllen/ mich zuführet/

Als kaufft mein enges Hertz20

So theur nicht solchen Schertz/

Wodurch man Gott verliehret:[130]

Will lieber durch das Läid

Die Himmels-Räiß anstellen/

Als durch so kurtze Freud

Hinfahren nach der Höllen.


20.

Durch Hagel/ Feur/ und Plitz/21

Durch Schwerdter/ und Geschütz/

Will muhtig ich durchbrechen/

Und sollt' auch Atropos22

Mit ihren Mord-Geschoß

Mein schwaches Hertz durchstechen:

Daphnis mit seiner Gnad

Wird mich sorgfältig läiten/

Und auff des Creutzes-Pfad

Nach seinem Reich begläiten.


Fußnoten

1 Verstehe in dem wilden unfruchtbaren Arabia, wo zu Zeiten der Wind gantze Sand-Berg zusammen wehet/ und die räisende Leut darmit ersteckt/ dahero dann die Mismia kömmt.


2 In keinem Land gibt es mehr Löwen/ und Bären/ als in Lybia.


3 Cerberus ein Hund vor der Höllen Thür/ mit drey Köpffen. Poët.


4 In dem Fluß Nilus in Aegypten gibt es viel Crocodil.


5 Eine beruhmte Stadt/ welche wegen vielen Schlangen zu Grund gangen.


6 Euridice von einer Schlangen gebissen/ hat sterben müssen.


7 Meerfräulein/ welche mit süssem singen die Schiff zugrund richten/ Poët.


8 Ein gefährlicher Ort im Meer.


9 Phasis ein goldreicher Fluß in dem Reich Colchis.


10 Zu Præsto wurden die Früchten zweymal im Jahr zeitig.


11 Das göldne Fluß.


12 Canaan das gelobte Land.


13 Wilde Oxen/ ein Feur-spenender Drack/ und sehr gefahrliches Meer.


14 Oxen/ die Füß von Aertz gehabt. Poët.


15 Unschiffbares.


16 Mavors oder Mars ein Gott des Kriegs.


17 Contendite intrare per augustam Portam. Luc. 13. v. 24. Durch die Müste in das gelobte Land. Mille per anfractus, per mille pericula mundi.


18 Iter nostrum, quasi quidam latrunculi, obsident. S. Greg. Papa. hom. II. in Evang.


19 Consuetudo altera natura.


20 Tanti pœnitere non emo. Demosth.


21 Aut vincendum, aut moriendum Muß gestritten oder gestorben seyn.


22 Eine von den dreyen Lebens-Göttinen/ welche den Lebens-Faden abschneidet. Poët.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 119-120,123-131.
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