2. Clorinda/ nunmehr in dem Stand der Liebe Gottes/erzehlet unter einem verblümten Verstand/ wie sie von dem Wein der Liebe Gottes wunderlicher Weise truncken worden

Introduxit me in Cellam vinariam, ordinavit in me charitatem.

Cant. 2. v. 4.


Er hat mich in den Wein-Keller geführt/ und die Liebe hat Er in mir geordnet.


1.

Ist niemand allhier

Verlassenen mir

Hilffreiche Hand zu reichen?

Ach lasset euch doch/

Ihr Wanders-Leut/ noch

Durch mein Geschrey erweichen!

Seht: wie ich so blöd/

Ohnmächtig/ und öd/

Mich selbst nicht mehr mag tragen:

Ich watte daher

So langsam/ und schwär/

Wie des Bootes Wagen.1


2.

Vergessen der Zeit/[233]

Von Hause so weit/

Muß ich mich hier benachten:

Darff heute nicht mehr/

Verspahtet so sehr/

Nach meiner Herberg trachten;

Zu diesem hab ich

Zu förchten auch mich

Vor streiffenden Gewilden

So/ daß ich mir muß/

Gantz übel zu Fuß/

Ein strenge Nacht einbilden.


3.

Besonders weil auch

Ich wider den Brauch

Darzu noch bin gantz truncken/

Zur Erden offt hin/

Wie leicht ich auch bin/

Vor Blödigkeit gesuncken:

Des süssen Weins voll

Bin worden so toll/

So sinnloß/ und verwirret/

Daß ohne Hilff ich/

Muß lägern da mich/

Nachdem ich weit verirret.


4.

Ich gienge heut früh'/

Voll sorglicher Müh'/

In Wald hinaus spatzieren/

An heimlichen Ort[234]

Vertraulich alldort

Die Seuffzer auszuführen;

Bin kommen in Streit

Mit Echo so weit/

Daß ich mich gantz verlohren/

Indem ich bethört

Ihr Klagen gehört

Mit unverwendten Ohren.


5.

Und als sich der Tag/

Auff sinckender Wag

Nun allbereit befunden/

Da wurde ich/ satt

Des Klagens/ gantz matt/

Verletzt mit neuen Wunden;

Wolt' also mich aus

Der Dryaden Hauß/2

Zu mir selbst kommend/ würcken;

Hab' aber mich sehr/

Je länger je mehr/

Vertieffet in die Bürcken.


6.

Ich sahe mich umb/

Vor Unmuht sehr thumb/

Gleich den entwegten Botten;

Und kame gar bald/

Noch mitten im Wald/

Zu einer Wasser-Grotten;[235]

Zu welcher ich schnell/

Von silberner Quell

Gereitzet/ hingegangen/

Mein durstiges Hertz/

So glüend/ wie Aertz/

Zu kühlen nach Verlangen.


7.

Und als ich nun mir

Mit Adams Geschirr

Zu trincken wolte schöpffen/

Da zoge zum Glück

Mich sachte3 zurück

Ein Hirt bey meinen Zöpffen/

Und sagte; Ach nein:

Clorinda/ halt' ein/

Diß ist ein schädlichs Wasser/4

So eben jetzt hat

Mit seinem Unraht

Vergifft der Menschen-Hasser.


8.

Bey solchem Zustand

Mich hefftig befand'

Entrüstet/ und bestürtzet;

In meinem Entschluß

Wie Procrys im Schuß

Des Cephalus, verkürtzet;5[236]

Ich ware gar nach/

Als dieses ich sah'/

In grosser Angst ersticket/

Wann Daphnis mich nicht

Mit seinem Gesicht/

So ich erkennt'/ erquicket.


9.

Ich seuffzte/ und sprach'/

Ach Daphnis ach! Ach!

Mein Hoffnung/ und mein Leben!

Vor Schrecken/ und Freud

In diesem Gestäud

Muß ich den Geist auffgeben:

Er sprache/ Clorind'/

Dich rühig befind'/

Bey mir wirst du nicht sterben!

Das Leben vielmehr/

Und sondere Ehr

Von Daphnis heut erwerben.


10.

Da führte mich Er

Von dannen nicht fehr

In einen schönen Keller/

Und reichte dort mir

Ein göldnes Geschirr

Mit rohten Muscateller/

Mit sprechen: nehm' hin/

Lieb-durstige Binn/[237]

Ein wenig dich zu laben/

Von diesem Getranck/

Wie sehr du auch kranck/

Wirst du Erquickung haben.


11.

Ich nahme es zart/

Nach höfflicher Art/

An meinen Mund zu setzen/

Die Lippen nur kaum

An jäsendem Schaum

Des rohten Saffts zu netzen:

Er sagte: der Wein/

Clorinda/ ist dein/

Du must ihn nicht verschmähen/

Du kanst dich gar nicht/

Wie etwann geschicht/

Der Hitze halb vergähen.


12.

Ich setze ihn an/

Hab eben gethan

Wie er es mir befohlen/

Und trinckte nach Lust

Der hitzigen Brust

(Bekenn es unverholen)

Es schleichte der Wein

So lieblich mir ein/

Daß ich nicht könnt' ablassen/[238]

Biß nichtes schier gar

Darinnen mehr war'

Von dem sattlosen Nassen.


13.

Es hatte der Safft

So treffliche Krafft/

Daß ich gantz wurd erfrischet:

So lieblich war' er/

Als wann er gantz wär'

Mit Hyblen-Safft vermischet:6

Vor diesem Getranck

Muß unter den Banck

Der edle Bacharacher/

Den jedermann nennt/

Der ihne nur kennt/

Den Lust- und Freuden-Macher.


14.

Desgleichen am Rhein/

Etsch/7Mosel/ und Meyn/

Niemalen ist zu finden:

Des Neckers Geschmack/

Verkrochen in Sack/

Muß bleiben weit dahinden:

Es weicht ihm auch weit/

Der sonsten die Leut

Bald singen macht/ und pfeiffen/[239]

Den man erst einführt/

Wann alles gefrührt/

Und gut wird von dem Reiffen.8


15.

Vernatscher/ Veldtlin-

Leutacher/Tromin-

Veldkirch- und Luethenberger/

Die sonsten nicht schlimm/

Seynd Wasser vor ihm/

Zu schätzen/ ja noch ärger:

Der Frantz-Wein so gar

Und Spannische Wahr

Ihm nicht seynd zu vergleichen:

Was gutes Engadd,

Und Candia hat/

Vor diesem müssen weichen.


16.

Der Malvasier auch

Ist saiger/ und rauch/

Safftloß der von Lagotten/9

So sinnlichen Wein

Hat Bacchus nicht ein-

Geführt aus seinen Trotten:10

Auch Ganimed, satt

Des Götter-Weins/ hat

Desgleichen nicht verkostet/

Aus Perlen auch nie

So köstliche Brühe

Cleopatra gemostet.
[240]

17.

Er ware so gut

Zu machen den Muht/

Daß ich stracks räuschig wurde

So/ daß mir nunmehr

Ist worden zu schwer

Mein träge Leibes-Burde:

Worauff ich dann bin

Gesuncken dahin

Krafft-los vor Liebs-Ohnmachten:

Auffschreyend offt laut

Mit Himmlischer Braut:

Ich muß vor Lieb verschmachten.


18.

Als gegender Nacht

Ich endlich erwacht/

Und mich allein befunden/

Da ware mein Hertz/

(O liebreicher Schmertz!)

Verletzt mit Liebes-Wunden:

Ich machte mich auff

Mit Hirschischem Lauff/

Dem Daphnis nachzujagen:

Ach aber kein Haar

Zu sehen mehr war'/

Die Lufft hat ihn vertragen.


19.

Was solt'/ ich danun[241]

Verlassene thun?

Wohin mich arme wenden?

All Hoffnung/ und Raht

Verlassen mich hat

An so hülfflosen Enden;

Ich nahme die Räiß

Durch manchen Umbkräiß/

Biß ich hieher gehuncken:

Nun lig' ich allhier

Ohn' alle Sinn schier

Von Liebe Gottes truncken.


20.

Ist niemand zu Land

Mir armen die Hand

Und treue Hülff zu reichen?

Ach lasset euch doch/

Ihr Wanders-Leut/ noch

Erbetten/ und erweichen!

Ach lasset mich nicht/

Wie öffter geschicht/

Auff offner Straß verderben!

Ich werde euch schon

Von Daphnis den Lohn

Der treuen Hülff erwerben.


Fußnoten

1 Ein langsames Gestirn am Himmel.


2 Aus dem Wald/ dann die Dryades seynd Wald-Göttinen.


3 Gelind.


4 Brunn der Wollust.


5 Cephalus hat sein Weib Procrys unwissend erschossen.


6 Honig. Hybla ist ein Berg/ auff welchem der beste Honig gesammlet wird.


7 Ein Wasser/ fleußt im Etschland.


8 Neiffwein.


9 Lagotter-Wein.


10 Torcklen.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 229-230,233-242.
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