4. Clorinda/ ihren Himmlischen Daphnis, welcher in den Garten hinunter gestiegen/ suchende/ kommt in Erkanntnuß/ daß es kein irrdischer Wollusts-Garten/wo er die Gilgen sammle/ sondern die Seel eines keuschen Menschen sey

Dilectus meus descandit in hortum suum ad areolas aromatum, ut pascatur in hortis, & lilia colligat.

Cant. 6. v. 1.


Mein Geliebter ist hinab gegangen in seinen Garten zu den Wurtz-Gärtlein/ daß Er sich wäide in den Gärten/ und breche Rosen.


1.

Mein Liebster ist

Ohn mein Erwarten

Hinab in seinen Garten/

Eh' ich was von gewißt;

Nun kan ich höchst-beflissen

Ja nicht wissen/

In welchem ungefehr

Zu finden Er/

Dann weil der Gärten viel/

Ist ungewiß das Ziel.


2.

Wo soll ich hin

Den Weg dann nemmen?

Zu was Schluß mich bequemen?[256]

Weil ich gantz weisloß bin;

Er ist auch nicht nach Hyblen,1

Wegen üblen

Zugangs/ als welcher streng/

Mühsam und eng:

Das Immenkraut ist je

Nicht werth so grosser Mühe.


3.

Hymettus2 auch/

Der manchen wäinen

Gemacht mit seinen Steinen/

Ist viel zu hart/ und rauch;

Er kan den Honig haben

Ohne Waben

Aus der Melissen Hand3

Auff flachem Land:

Er selbst der Honig ist4

Wer seinen Namen lißt.


4.

Cantaon5 zwar

Ist worden ruchtbar/

Daß es beglückt/ und fruchtbar

Dreymal in einem Jahr/

Ziecht doch mit solchen Früchten

Auff mit nichten/

Wie Daphnis, welcher selb6[257]

(Zum Schnitt gantz gelb)

Ein solches Brot/ und Wein/

So nicht könnt' edler seyn.


5.

Er hat auch nicht

Nach des so zarten

Adonis7 Blumen-Garten

Sein Hertz/ und Gang gericht/

Dann Er von Davids Stammen8

Bestem Samen

Entsprossen eine Blum/

Als die den Ruhm

Von wegen edler Saat

Vor allen Blumen hat.


6.

Er geht nicht mehr

Allwo die Diebe warten

Auff der Susannen Ehr;9

Wo man die keusche Gilgen

Will vertilgen;

Wo man die Rosen bricht/

Da bleibt er nicht;

Er pflegt nicht hinzugehn/

Wo welcke Blumen stehn.


7.

Ist Zweiffels ohn'

Auch nicht gegangen[258]

Nach Garten/ die dort hangen10

Erhöcht zu Babylon;

Er förcht/ sie möchten knallen/

Gar einfallen;

Wo man in Lüfften hangt/

Stoltziert/ und prangt

Mag seine Demuht nicht

Hinwenden ihr Gesicht.


8.

Er wird nicht gehn/

Glaub' ich/ desgleichen

Nach dem durchaus Gold-reichen

Feld der Hesperiden;11

Wo sich der Geitz befindet/

Da verschwindet

Er stracks im Augenblick/

(Geitzhals erschrick')

Gott/ und Mammona12 seynd

Zwey abgesagte Feind'.


9.

Die Flora kan

Kein Oertlein zeigen/

Ob alles schon ihr eigen/

Wo er zu treffen an:

Dann weil die Blumen welcken/

Und versälcken

Offt/ eh' die erste Nacht

Herzu sich macht/[259]

So hält er solche Ding

Für sich viel zu gering.


10.

Obschon der Pfön

Sammt den Etesen13

Den Garten der Farnesen14

Zu Rom beblümet schön:

Und sich die Wunder-Affen

Dort vergaffen

An mancher Seltsamkeit

Insonderheit/

Weil dorten der Fürwitz

Bekommen seinen Sitz.


11.

So kan die Kunst

Verstorbner Händen/

Die gähling pflegt zu schänden

Ein' unverhoffte Brunst/

Den Daphnis nicht bewegen

Nach zu hegen:

Einfalt/ und Demuht kan

Ihn ziehen an:

Die Lieb Ihn stärcker hält/

Als alle Kunst der Welt.


12.

Ist Er vielleicht

Dahin gegangen/

Wo süsse Trauben hangen/[260]

Die man dem Mett vergleicht?

Wo bey den Safft-Rubinen/

Gleich den Binnen/

Man sich in Wollust setzt/

Und stäts ergetzt?

Wo man ist immer naß/

Hat Daphnis keinen Spaß.


13.

Die Nüchterkeit

Ist bey den Keuschen/

Die Geilheit bey den Räuschen

Sammt der Vermessenheit;15

Viel Wein/ und geile Weiber

Seynd die Räuber

Der Weißheit/ und Andacht:16

Enthalten macht

Gottsförchtig/ klug/ und weiß/

Führt zu dem Paradeiß.


14.

Ist er dann hin

Vielleicht gegangen/

Wo man mit Spieß- und Stangen17

Zum Tod geführet ihn?

Ach nein/ dann wo den Frommen

Wird genommen

Mit Unrecht Ehr/ und Gut

Sammt Schweiß/ und Blut/[261]

Wo es geht Jüdisch her/

Da will nicht bleiben Er.


15.

Wo wird Er doch

Dann seyn zu finden?

Ach sagt es der Clorinden/

Die es verlangt so hoch!

Sagt mir mit wenig Worten/

An was Orten

Er anzutreffen sey?

Auff daß ich frey

Der Sorg- und Kummers-Qual

Ihn finden mög einmal.


16.

Nun merck' ich schier/

Wo Er seyn werde/

Nemlich bey seiner Herde/

Die gar nicht weit von hier:18

Er pflegt auff wilden Heyden

Nicht zu weyden/

Will nur auff fettem Land/

Wo allerhand

Gewürtz/ und Blumen stehn/

Sich stäts zu weyden gehn.19


17.

Wie man erfahrt/

Ihm doch vor allen

Die Lilien wohl gefallen/[262]

Wann sie von guter Art/

Der wilden ist er aber

Kein Liebhaber/

So Gilgen nur allein

Seynd nach dem Schein/

Auswendig weiß wie Blust/

Inwendig voller Wust.


18.

Des Menschen Hertz

Ist sein Lustgarten/20

Wann es geblümt (von Arten

Der Tugend) wie der Mertz:

Da will Er seyn/ und bleiben/

Kurtzweil treiben/21

In solchen Garten will

Er in der Still

In hoch-erwünschter Ruh'

Die Täge bringen zu.


19.

Absonderlich

Wo die Gold-reine/

Nicht allenthalb gemeine/

Keuschheit befindet sich/

Da pflegt er sich zu weyden

Ohne scheiden;

Da sammlet er gantz rein

Die Gilgen ein:[263]

Da ist sein Bett geblümt:22

Wie er sich dessen rühmt.


20.

So will ich dann

Nun seyn beflissen/

Mit Lilien/ und Narcissen

Mein Hertz zu füllen an:

Ich will an Tugend grünen/

Zu verdienen/

Daß ich der Garten sey/

Allwo er frey

Ohn' alle Scheuh einkehr'

Zu scheiden nimmermehr'.


Fußnoten

1 Hybla ein Blumen-Berg in Sicilia


2 Ein Blumen-Berg in Africa.


3 Metissa hat den Honig erfunden/ in ein Immlein verwandlet. Poët.


4 In ore mel mirificum. S. Bern. in suo lub.


5 Ein Stadt in Indien, Melchior Nuguez Soc. Iesu 1555.


6 Ich bin das lebendige Brot. Ioan. 6. v. 51. Mein Blut ist wahrhafstig ein Tranck. v. 56.


7 Adonis ein Wollust-liebender König in Cypren.


8 Isa. 11. v. 1. aus der Wurtzel Iesse.


9 Dan. 13.


10 Horti pensiles.


11 Ein Garten/ worinnen göldene Früchten waren, Poët.


12 Gott der Reichthumm. Matth. 6. v. 24.


13 Sanffte Blumen-Wind'.


14 Ein Welt-berühmter Garten/ deren Farnesischen Fürsten zu Rom.


15 Prov. 20. v. 1.


16 Eccles. 19. v. 2.


17 Gethsemani.


18 Vt pascatur in hortis.


19 Ad areolas aromatum, ut colligat lilut.


20 Præbe, fili mi, Cor tuum mihi. Prov. 23. v. 26.


21 Prov. 8. v. 31.


22 Lectulus noster floridus. Cant. 3. v. 15.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 252-253,256-264.
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