1. Der Himmlische Daphnis eröffnet der büssenden Seel seine grosse Lieb/ und nimmt sie zu seiner Liebhaberin an

Vulnerâsti cor meum, soror mea sponsa, vulnerâsti cor meum in uno oculorum tuorum, & in uno crine colli tui.

Cant. 4. v. 9.


Du hast mir das Hertz verwundet/ meine Schwester/ liebe Braut/ das Hertz hast du mir verwundet mit deiner Augen einem/ und mit einem Haar deines Halses.


1.

Sie Lieb ist viel stärcker/

Als Danaës Kärcker/1

Als alle der Erden

Jemal geweßte Riesen/

Weil von diesen

Man noch loß offt könnte werden;

Aber wo die Lieb

Heimlich/ wie ein Dieb/2

Die Hertzen der Menschen hat gebunden/

Wird die Kett' befunden/

Mehr als tausendfach[219]

So/ daß ihr die Rach/

Und der Tod zu schwach.3


2.

Diß müßte erfahren/

Der unter den Haaren

Die Stärcke getragen/

Und tausend Philisteer

Noch viel eher/

Als in einem Tag/ erschlagen;4

Der den Löwen dort

Wehr-loß hat ermordt;5

Die Pforten zu Gaza hingetragen/

Und mit vielen Plagen

Seine Feind gedemmt/

Von der Lieb gelämmt/

Endlich wurd gehemmt.


3.

Sie ist so gar meister

Auch über die Geister/

Die oben beysammen/6

Dann sie den Cherubinen,7

Seraphinen

Zugesetzt mit heissen Flammen;

Thronen/ Herrschafft/ Gwalt

Sie gefangen halt/

Die Fürsten/ Ertz-Engl/ Engl/ Kräfften[220]

Pflegen sie anzuhefften

An das Liebes-Band:

Es ist ja kein Stand

Frey von ihrem Brand.


4.

Die Lieb ist so mächtig/

Hochmühtig/ und prächtig/

Daß sie sich eindringet

So gar auch in den Reyen

Höchster Zweyen/

Und sie zu der Dreyheit zwinget/

Bindet uns zusamm

Mit sehr heisser Flamm/

Indem sie vom Vatter (zart gewehet)8

Und von mir ausgehet

So/ daß auff dem Thron

Unter einer Cron

Sie die Dritt' Person.


5.

Die Lieb ist geschäfftig/

Tyrannisch/ und hefftig/

Hat auch so gar dörffen

Mich Gottes Sohn verwunden/

Und gebunden

In die Liebs-Gefängnuß werffen:

Dann/ als dorten Ich

Allzukümmerlich

Die Menschen im Elend hab erblicket/[221]

Hat sie mich verstricket

Mit dem Liebes-Seil/

Daß ich umb ihr Heil

Mich gegeben feil.


6.

Hab' müssen auff Erden

Ein blöder Mensch werden/

Mit Fätschen/ und Windlen

Mich wegen ihrer Sünden

Lassen binden

Gleich den armen Adams-Kindlen/

Stracks darauff müßt' ich fort

Nach dem Nilus-Port9

Als einer/ der mißgehandlet/ ziehen/

Vor Herodes fliehen/

Welcher ohn' Ursach

Voller Neid/ und Rach/

Mir gesetzet nach.


7.

Als ich aus Aegypten

Mit meinen Geliebten

Nach Nazareth kehrte/

Müßt' ich verächtlich leben/

Mich dem geben

In Gehorsam/ der mich nährte:10

Ohne Kräfften noch

Müßt' ich an das Joch/

Der Himmel und Erden ich gezimmert/[222]

Umb dein Heil bekümmert/

Müßte Herbergloß

Mich ergeben bloß

In der Armuht-Schoß.


8.

In vielen Trangsalen/

Und ängstigen Qualen/

In stätem Arbeiten

Müßt' ich die Zeit zubringen/

Mit nicht ringen

Wercken dir dein Heil bereiten;

Dreissig gantzer Jahr

Ich beschäfftigt war'

Mit allerhand kümmerlichen Wercken

Deine Seel zu stärcken/

Auff daß nemlich du

Möchtest kommen zu

Der gewünschten Ruh'.


9.

Drauff müßt' ich barfüssig

(Zu keiner Stund müssig)

Der Welt mich erklären

Und unerhört-viel leiden/

Alles meiden/

Was ein Tröstlein könnt' gebähren.

All mein Thun/ und Raht

War' ein Missethat;

Mit bösem wir haben es vergolten/[223]

Meine Werck gescholten/

Ausgeruffen frey/

Daß nur Zauberey11

Mein Beginnen sey.


10.

Sie haben mich endlich

Des Todes erkänntlich

Verfolget/ verhasset/

Und mir mit schlauen Worten

Aller Orten/

Wie die Schlangen auffgepasset;

Haben ihren Wuht/

Und verkehrten Muht

Vielfältig an meinem Leib verübet/

Auff das höchst betrübet/

Daß mit Blut so gar

Ich/ in Tods-Gefahr/

Ubernommen war'.


11.

Ich müßte gefangen

Darreichen die Wangen

Den Speychlen/ und Schlägen/

Und zu dem Tod erkennet/

Sturm-berennet/

Mich zu ihren Füssen legen:12

Geißlen Dörner-Cron/

Grossen Spott/ und Hon/[224]

Ja endlich das schwäre Creutz gar tragen/

Schwach zerfetzt/ zerschlagen

An den Creutzes-Pfal/

Hilff-loß überall/

Sterben voller Qual.


12.

Zu diesem mich triebe

Die grausame Liebe/

Die also gehauset

Mit meinem treuen Hertzen/

Daß vor Schmertzen

Auch der Sonnen hat gegrauset/

Welche ihren Schein

Gantz gehalten ein;

Die Felsen vor Unmuht sind zerspalten/

Gantz darfür gehalten/

Daß der jüngste Tag

Wegen meiner Plag

Würcklich sich zutrag.


13.

Nach dem ich ich verschieden/

War' noch nicht zu frieden

Die grausame Liebe/

Dann sie/ da ich gestorben/

Sich beworben/

Wie sie an mir noch übe:

Durch Longinus Hand/

Der sich da befand/

Durchstache mein Hertz mit solchem Trucken[225]

Daß auch durch den Rucken

Gangen das Gewehr/

Wann es nicht so sehr

Selbst erschrocken wär'.


14.

Das Elend der Seelen

Mich machte erwehlen

Viel lieber zu sterben/

Als sie vor Augen sehen

In den gähen

Sünden-Fahl hilff-loß verderben:

Hab mit meinem Blut

Sie der Höllen-Glut/

Und aller Gefährlichkeit befreyet/

Mit der Gnad beschneyet/

Und so schön gemacht/

Daß mein Hertze lacht/

Wann ich sie betracht?


15.

Die frey sich befinden

Von tödtlichen Sünden/

Nach bestem Vermögen

Auch hüten vor den kleinen/

Mich als einen

Bräutigam zur Lieb bewegen:

Wer die Sünde flieht

Mein Hertz an sich zieht/

Gleich wie der Magnet anzieht das Eisen;

Diese Art der Weisen[226]

Pfleg ich innerlich/

Wie ein Liebster sich/

Zu erzeigen mich.


16.

Wer hertzlich mich liebet/

In Tugend sich übet/

Und embsig befleisset

Den Hauffen meiner Ehren

Zu vermehren/

Mit Gewalt mich zu sich reisset:

Da muß ich dann seyn/

Und geschlossen ein

Mit hertzlicher Lieb vereinigt wohnen/

Seine Lieb belohnen

Auff ein solche Art/

Die nur der erfahrt/

Der mich liebet zart.


17.

Dergleichen Leut scheinen

Von Edelgesteinen

Der Tugend so prächtig/

Gleich wie die Tages-Böttin/

Farben-Göttin/13

Wann sie nun der Wolcken mächtig:

Diese weit vor Ihr

Wohlgefallen mir/

Weil nemlich ihr Schönheit nie verschwindet/[227]

Standhafft sich befindet

Auch bey dunckler Nacht:

Dann der Tugend Pracht

Alles heiter macht.


18.

Wer seine Sünd' hasset/

Reumühtig verlasset/

Hat Gnade gefunden:

Dann wer mit Reu benetzet/14

Stracks verletzet

Mich mit tieffen Liebes-Wunden:

Seine Lieb ist gar

Ein verführend Haar/15

So meine Seel tausendfach gefangen/

Listig hindergangen/

Daß ich seiner Schoß/

Wär' ich noch so groß/

Nicht kan werden loß.


19.

Darumben so komme/

Mein schöne/ und fromme/

Clorinda/ nun deines/

Verlangens zu geniessen/

Einzuschliessen

Dein verliebtes Hertz in meines;

Ich bin nunmehr dein/

Du hingegen mein/

Auff ewig will ich mich dir vermählen/

Es soll dir nicht fehlen/16[228]

Beyde wöllen wir

Seyn getreu/ ich dir/

Du hingegen mir.


20.

Vergesse ich deiner

So wil ich selbst meiner

Auch nicht mehr gedencken/

Viel minder meiner Knechten/17

Dir verschmächten/

All mein Gut und Reichthumm schencken

Meine Zung am Gaum18

Kleben soll wie Schaum/

Wann jemal ich deiner soll vergessen/

Dann du hast besessen

Mein Gemüht so sehr/

Daß ich nimmermehr

Es von dir abkehr'.

Fußnoten

1 War von Eisen. Poët.


2 Amor vincit omnia.


3 Fortis, ut mors, dilectio. Cant. 8. v. 6.


4 Iudic. 15. v. 15.


5 Iudic. 15. v. 15. Iudic. 16. v. 3.


6 Alle Chör der Englen.


7 Cherubin. Seraphin. Thronen, Herrschafften/ Gewalt/ Fürstenthum/ Kräfften/ Ertz-Engel/ Engel.


8 Spiratus.


9 Aegypten.


10 St. Joseph.


11 Quoniam Beelzebub habet. Marc. 3. v. 33.


12 Conculcaverunt me inimici mei tota die: quoniam multi bellantes adversum me. Psal. 55. v. 3.


13 Vielfärbige Morgenröth.


14 In einem deiner Augen.


15 Mit dem Haar deines Halses. Cant. 4.


16 Osea 2. v. 19.


17 Psal. 136. v. 5.


18 Adhæreat lingua mea faucibus meis. Psal. 136. v. 6.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 213-214,219-229.
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