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Den 10. April 1773. Am großen Ruhetage Christi.

[242] Hören Sie, mein schwacher Bruder, einen schwachen Bruder einige Augenblicke an, weil ich nur einige Augenblicke habe, mit Ihnen zu reden. Unter allen Sünden ist keine Sünde so tief vergiftet, wie der Unglaube.

Unglaube ist die Sünde aller Sünden; ist das Territorium des Satans – Frommscheinender Unglaube, Unglaube der falschen Demuth – gehört zu den feinsten Stratagemen des Feindes Gottes und der Wahrheit.

Ich bitte Sie, so sehr ich Sie bitten kann – nicht muthlos zu seyn.

Gott ist sich immer gleich, wenn wir es auch nicht sind. Er liebet immer, wenn wir auch nicht lieben.1 Der, der in uns ist, ist grösser, denn der, so in der Welt ist.[242]

Widerstehen Sie dem Satan, und er wird fliehen. Dreiste mit wenig Schriftworten, die ihm durch die schwarze Seele gehen.2 Bleiben Sie in dem Berufe, zu dem Sie von Gott berufen sind. Sonst bereuten Sie es! Sind Sie gefallen ... Gott ist mächtig, Sie aufzurichten.[243]

Wems verleydet tausendmal aufzustehen, wenn er tausendmal gefallen ist, der verfehlt sein Ziel – aus Unglauben! Der, der 70 mal 7 mal in Einem Tage vergeben heißt – wird wenigstens auch so vielmal in Einem Jahre vergeben können. Gott wird ihre Fehltritte verborgen halten.3 Glauben Sie es nur schlechtweg und dreiste. Ich rede aus vielfältiger Erfahrung.

Fangen Sie mit neuem Mute an; so wird Gott mit neuem Seegen zu Ihnen zurückkommen.

Vergessen Sie dessen, was hinter Ihnen ist – und sorgen Sie nicht für den folgenden Tag.

Die Gnade des Herrn Jesu Christi sey mit Ihnen.

Fußnoten

1 Ganz richtig. Aber Gott steht und beurtheilet uns doch jedesmal so, wie wir wirklich sind, und je aufrichtiger und wirksamer unsre Liebe gegen ihn ist, desto fähiger sind wir seiner Liebe, seines Wohlgefallens und seines Segens. Er kann den Sünder nicht für unschuldig, den Schwachen nicht für stark, den Wankelmüthigen nicht für standhaft, Fehler nicht für Vollkommenheiten ansehen. Je größer die Liebe und Nachsicht deines Gottes ist, redlicher Christ, desto freudiger und geschäfftiger müsse auch dein Bestreben seyn, stets das zu thun, was ihm wohlgefällt. Anmerk. des Herausg.


2 Der Verfasser will wohl damit nichts anders sagen, als daß wir die bösen Gedanken und Begierden, die in uns entstehen, sogleich verwerfen und unterdrücken, und durch fromme, christliche Gedanken verdrängen sollen. Denn die Schrift sagt doch nirgends, daß der Satan so um und neben uns sey, daß er uns hören, und durch das, was wir zu ihm sagen, in die Flucht getrieben werden könne. Das würde ja voraussetzen, daß er allgegenwärtig wäre, da so viele und so weit von einander entfernte Menschen zu gleicher Zeit zum Bösen versucht und gereizt werden. Das, was Petrus I Br. V, v. 8. sagt, kann sehr wohl von einem damals lebenden Menschen, der ein heftiger Widersacher und listiger Verläumder der Christen war, verstanden werden. Anm. des Herausg.


3 Ja, er wird es thun, wenn es seiner Weisheit gemäß ist, und zur Beförderung seiner uns unbekannten Absichten dienet. Sonst läßt er auch wohl die Sünden und Fehler mancher rechtschaffenen Menschen zu ihrer eigenen Demüthigung und zur Warnung anderer ans Licht kommen. Gott hat uns hierüber keine besondere Verheissungen gegeben. Sollten wir es uns denn wohl schlechterdings und ohne Einschränkung versprechen dürfen? Anmerk. des Herausg.


Quelle:
Lavater, Johann Kaspar: Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst, Leipzig 1773, S. 245.
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