Sonntag der 17. Jenner 1773.

[133] – – – Gleich beym Erwachen ließ mich die Tante zu sich bitten, weil sie so schwach und beklommen wäre ... ich zog mich unverzüglich an, und gieng hin. Ich fand sie in der That sehr schwach und trostlos. Die Natur ihrer Krankheit aber brachte das mit sich. – Ich mußte mich aufraffen, die Last der Schläfrigkeit, die auf meinen Augen lag, abzuschütten; – ich betete ihr das Bekenntniß der Sünden vor, welches ich gestern aufgesetzt hatte; ich finde wirklich, wenn man nicht aufs allervertraulichste[133] mit Kranken geradezu reden kann (ein Fall der äußerst selten ist) daß man vermittelst Gebeter und Lieder, ohne zu beleidigen, und ohne sich das unentbehrliche Zutrauen des Kranken zu rauben – alles sagen kann, was man sagen sollte, und dennoch nicht sagen dürfte; wenn nur die natürliche Vorsicht dabey beobachtet wird, daß man beym Allgemeinern anfängt, und nach und nach immer specialer und treffender wird.

– – – – Da ich wieder allein war, dachte ich ein wenig über Begräbniß, Grab und andere angränzende Dinge nach; ich kam unschuldiger weise auf den Gedanken an vcx mdh mdf qza rbg qhe set dql hbg ... Hier ist rhdoo.


Vas.


»Efs ekftfo Tubwc efs Fsef hkfcu,

Fs xbs hftffhofs woe hfmkfcu.

Fs ibssf efs Wotufscmkdilfku.

Ko tfkofs Obdiu tkdi pgu hfgsfwu!

Ft gsfwf tkdi, xfs ekftft mkftu,

Ebtt Fs, hmfkdi kin wotufscmkdi ktu.«


Einige zum Theil nothwendige öconomische Gespräche mit meinem Vater und Bruder ODm +fr TOuOfsuft ub Tfo u+f s TO uu fsw o+ efot dixf +fso ... +O 1ktOf 1fo b ±mf kox ktakh, s+fs ± ..

Herr Schwager Sch. kam. Man sprach von einer Handlung, die dem ersten Anscheine nach sehr niederträchtig war. Ich ereiferte[134] mich anfangs mit ihm darüber ... allein ein ruhigeres Nachdenken zeigte mir, daß ich mich übereilt hatte. Ich setzte mich zu dem Ende nur in einen ähnlichen Fall, – und fragte? – Man mußte gestehen, daß viel von der scheinbaren Unbilligkeit verschwinde. Es gehört mit zur gemeinsten Eitelkeit besserer Herzen, daß sie sich über gewisse Handlungen, und gewisse Arten des Betragens zu schnell und zu heftig ärgern. – Es läßt so moralisch und empfindsam – bey gewissen Fehlern anderer Menschen eine verachtende Miene anzunehmen; – aber, ach, wie meisterlich verbirgt sich Stolz und Richtersucht unter dieser Miene ... Lieber will ich mich gewöhnen, mich allemal an die Stelle des andern zu setzen, die Namen zu verwechseln, – und bey der Beurtheilung anderer, mich selbst nie aus dem Gesichte zu verlieren ...

Ich revidirte einen halben Bogen. OD 1fr sO kst riw ei fsO n+ki ens sto.

Nach dem Mittagessen kleine Besuche. Tagebuch. Unterdrückter Unwille, daß ich vier bis fünf mal dem Bedienten vergeblich gerufen hatte – und daß ein erwarteter Freund aus Besorgniß mir bey den gegenwärtigen Umständen beschwerlich zu fallen, mir ein Billiet schrieb, daß er nicht kommen wolle ... P. kam: »wie mir doch zu Muthe sey?« Ich wisse es selbst nicht. Sehr ruhig in Rücksicht auf das nun verschwundne Elend meiner[135] Mutter – aber, dann doch in mancher Absicht nicht ohne Kummer. Von dem Zustande unsers Hauses – Er gieng mit mir in die unterste Stube, den Leichnam zu sehen. Ich stand oben am Sarge, er zur Seite – ich legte meine Hand auf ihre ... kalte ... Stirne On+s eOft zten Dchei n Ts ±O Ter1sr Tenf Ori hrese e ±e ... Wir klagten beyde über den geringen Zufluß von wichtigen Gedanken und Empfindungen bey einem so wichtigen Anblicke.1 Der Leib, in dem ich zu werden, zum lebendigen Menschen zu werden anfieng – der liegt nun entseelt – und kalt und[136] starr vor meinen Augen ... was ist mein Auge das ihn sieht, und das erstarrte Auge das nicht sieht ... was ist Leben und Tod? – ... Dieses dachte ich, und gieng, nachdem mich mein Freund verlassen hatte, in das Zimmer meiner Frau, setzte mich stille neben sie, hieng meinen Gedanken nach ... und war sanfte andächtige süße Meditation und Gebet ... Mein Vater ließ mich rufen, ihm und dem Schw. eine Predigt vorzulesen. So sehr ich mich auf diese stille Stunde gefreut hatte; so nahe ich schon dem herzlichsten Gebete und der seligsten Entzückung in Gott war – stund ich doch nach wenigen Augenblicken auf. Jeder Ruf der Fürsehung soll von mir, dieses ist seit einiger Zeit mein Bestreben, so schnell, so gern, so kindlich, wie Gottes unmittelbarste Stimme, befolgt werden. Ich suchte unter meinen Predigten eine schickliche aus, und fand eine über die Worte: Darum, so wachet; denn ihr wisset weder den Tag noch die Stunde, in welcher der Sohn des Menschen kommt. Ich las sie ... und mein Herz schlug mir ... Nein! ich schlafe oft, ich wache selten. Wie oft müßte ich noch vor meinen Herrn erschrecken! – wie oft fände er mich nicht in seinen Geschäfften!

– – – – Ich sprach mit einer Freundinn, die zu meiner Frau gekommen war, von der Abendpredigt; – (mit Gleichgültigkeit) von meiner Situation; dem Gange[137] meines Herzens bey dem Leidens- und Sterbebette meiner Mutter. Sie konnte nicht begreifen, wie ich diesem Tode, und dem Tode meiner beyden allerliebsten Herzensfreunde habe zusehen können ... Ich sagte: viel eher zusehen, als nicht zusehen. Die Imagination schafft sich die Sache immer furchtbarer, als die Natur ist. Nebst dem sind immer so viele die Empfindlichkeit mäßigende, beschäfftigende, zerstreuende Umstände; u.s.f. daß ich es immer wohl aushalten – sehr oft nicht weinen konnte, wenn auch alle neben mir weinten ... aber dann nachher in der Stille erwachte die Sehnsucht der Liebe, und die Melancholey des verlangenden Nachwehes ... Saß ich einsam bey ihnen; so genoß ich sie, so gut ich konnte, und konnte den Gedanken ihres Todes, ihres Wegseyns, ihrer Unsichtbarkeit nicht ertragen ... Bey der Beerdigung des Felix Hessen hätte ich zerschmelzen mögen; und ich hatte doch noch seinen Bruder übrig ... uns beyden war der Verlust nachher beynahe unerträglich. Es fehlte uns zur Rechten und zur Linken ... Aber, da auch der zweyte Bruder starb ... da war ich betäubter. Ueberhaupt stehen die Empfindungen nicht in unserer Gewalt ...

Noch von andern wichtigen Dingen, von Leben und Tod, und Hoffnung und Zweifel, Christus und Unsterblichkeit sprachen wir ... ooi 3hO T sr T1g esi s1rOn ost9go.. 8.[138]

Die Freundinn gieng weg, und Herr Helfer Tobler kam. Eine recht vergnügte Stunde mit ihm. Ich wünschte Zeit zu haben alle unsere Gespräche nachholen zu können. Viel von dem Leiden der Verstorbnen, ihrer guten Seite, ihrem Tode; ihrem vermuthlichen Schicksale nach dem Tode; der tiefen Unwissenheit, in welcher wir uns in Absicht auf die Natur des unsichtbaren belebenden Theils des Menschen befinden; von der unendlich beruhigenden Geschichtswahrheit der Auferstehung Jesu ... von den natürlichen Zweifeln, in die ein jeder nachdenkender Mensch bey dem Anblick eines Kranken und Sterbenden in Absicht auf Unsterblichkeit und Wiederaufleben fallen muß; von der unterstützenden Kraft der evangelischen Offenbarung über diesen Punkt; – – von Krankenbesuchen; von unserer Nichtgewalt über unsere Empfindung; von der aus der anschauenden Erkenntniß natürlicher weise entstehenden Empfindung; von dem gesunden einfältigen Auge, alles zu sehen, wie es ist, und nicht wie wir wünschen, daß es seyn möchte; von der Weisheit, sich immer der Fürsehung aufzuopfern, und ihrem kleinsten Rufe hinzugeben; von dem Frappanten in dem Schicksale Jesu, der sich auf diese Weise immer der Fürsehung hingab; von der Einerleyheit des moralischen Leidens und Thuns – ferner – von meinem Vater, seiner Güte, seiner ausgezeichneten Billigkeitsliebe;[139] seiner Delicatesse, keinen Menschen zu kränken, und immer nachzuspüren, ob jedermann seine Sache richtig – und noch immer etwas drüber bekommen habe ... etc.

Da er weg war, schrieb ich noch ein wenig bey meiner Frau am Tagebuche. Die häufigen unnützen ermüdenden Fragen, womit mich mein Kleiner beunruhigte, machten mich beynahe ungeduldig ...

Bey Tische wurde, einige öconomische Sachen ausgenommen, nichts erträgliches geredet. Meine Gedanken aber waren bey meiner Mutter ... »Hat sie vor jenem Richter – oder seinen heiligen Wächtern nichts wider dich zu klagen?« ...

– – – Da ich zu Bette gieng, und meinem Sohne, weil er eben erwachte, gute Nacht wünschte, sagte er mir. »Papa! wisset ihr, was ich denke ... ich denke allem dem Guten nach, das mir die Großmama gethan« ... Ich freute mich, und segnete ihn.

Fußnoten

1 So wichtig die Dinge sind, die wir sehen und hören, so können sie doch nicht immer dieselben lebhaften und tiefen Eindrücke auf uns machen. Es kömmt dabey sehr viel auf unsere jedesmalige Leibesbeschaffenheit, auf die vorhergehende Reihe von Gedanken und Beschäfftigungen, und oft auf kleine Umstände an, die nicht in unsrer Gewalt sind. Aengstige und beklage dich also nicht darüber, redlicher Christ, wenn es dir nicht immer gelingt, so viel Gutes zu denken und zu empfinden, oder deine guten Gedanken und Empfindungen zu einem solchen Grade der Lebhaftigkeit und der Stärke zu erheben, als du es wünschtest. Je ängstlicher du darnach strebest, desto weniger wirst du deine Absicht erreichen. Anm. des Herausg.


Quelle:
Lavater, Johann Kaspar: Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst, Leipzig 1773, S. 141.
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