Lied eines Schweitzers über die französische Revolution

1.

Ist's Wahrheit oder ist es Wahn,

Was Frankreich worden ist,

Daß kein Minister-Tigerzahn

Mehr Mark des Landes frißt?


2.

Hat Weisheit und hat Muth gesiegt?

Gebeugt sich Tyranney?[2]

Ist's wahr, daß Stolz im Staube liegt?

Ist's wahr: Der Frank' ist frey?


3.

Nein, Traum nicht, Wunder unsrer Zeit!

Es gieng, wie Hoffnung sang.

Der Traum, der ward zur Wirklichkeit,

Der kühnste Wurf gelang!


4.

Verehre, Menschheit, was geschah!

O Vorurtheil, entflieh'!

Die Zeit des Lichts und Rechts ist da!

Beug', Herrscherstolz, das Knie!


5.

Die höllengleiche Festung hat

Der Rache Hand zerstört!

Dich preist, dein freut sich, Heldenthat,

Wer je noch von dir hört.


6.

Des Unrechts Thronen, zittert nun!

Wank', o Despoten-Kron'!

O Fürsten, lernt: Nur Gutes thun

Befestigt Euern Thron!


7.

Sey ernstes, warnend Beyspiel du,

O einzige Geschicht'!

Und ruf' der Erde Herrschern zu:

»Drückt Euers Gleichen nicht!«


8.

Gieb deinem Gott, was Gottes ist,

O, menschliches Geschlecht!

Dem König, was des Königs ist,

Dem Volke Völkerrecht.
[3]

9.

Es freue sich, in wessen Brust

Ein Herz voll Freyheit schlägt!

Ist Völkerfreyheit dem nicht Lust,

Der keine Fesseln trägt?


10.

Zerbrochen ist ein Sklavenjoch,

Ein Freyheitsstaat erbaut!

O Schweitzerstaaten, freut Euch hoch!

Im Herzen erst, dann laut!


11.

Jahrhunderte genossen wir

Der Freyheit Ruh' und Glück!

Jahrhunderte genießt nun Ihr,

Ihr Franken, auch dies Glück!


12.

Wir jauchzen Euch als Brüder zu:

Seht uns als Brüder an!

Und wandelt nun mit Siegesruh'

Auf offner, freyer Bahn!


13.

Auf Eure Noth sah Gott herab

Mit mildem Vaterblick!

Genießt mit Dank, was Er Euch gab,

Und prahlt nicht mit dem Glück!


14.

Gerechtigkeit sey Euer Ruhm

Und Weisheit Euer Thun!

Verehrt, wie Gott, das Eigenthum,

Der Thaten Adel nun!


15.

Neigt Euch dem Könige, der treu

Sich dem Gesetze neigt[4]

Und sich, ohn' alle Heucheley,

Als Freyheits-Ehrer zeigt!


16.

Und zürnt nicht mit der Priesterschaar,

Nicht mit dem Adelsheer!

Wer stolz und hart und herrschend war,

War's nur, und ist's nicht mehr.


17.

Entfernt Bestechung, Goldsucht, Zwang

In jeglicher Gestalt!

Zertrümmern wird, was Euch gelang,

Mißbraucht Ihr nun Gewalt.


18.

Deß, was die Blutgier einst gethan,

Sey nimmermehr gedacht!

Mit Abscheu, o, vergesse man

Der Mord-Oktobernacht!


19.

Wer Freyheit liebt und Ruhe sucht,

Der ehre Menschenblut!

Vergessen sey des Königs Flucht,

Wie jede Pöbelwuth.


20.

Nennt Demokraten-Tyranney

Nicht Recht, o, Freyheit nie!

Von Euern Gränzen ferne sey

Der Greuel Anarchie!


21.

Dem Staate Segen, der mit Muth

Und Großmuth Freyheit ehrt![5]

Er fürchte keine Schlangenbrut,

Die Ruh' und Eintracht stört!


22.

Wie schnell, wo niemand drücken will,

Hat Eifersucht verglüht!

Eh Hand um wird die Frechheit still,

Wo Recht und Tugend blüht.


23.

Sey Stolz und Herrschsucht ewig fern

Vom Kreis des Vaterlands!

Nur dem Gesetze fröhne gern

Der Bürger jedes Stands!


24.

Und jeder ehre Recht und Pflicht,

Und den, der beyde ehrt!

Und wer für Ruh' und Freyheit spricht,

Heiß' aller Ehren werth!


25.

Wer keine Ordnung je verletzt,

Zuvorkommt jeder Noth,

Gleich seiner – Aller Freyheit schätzt,

Der heiße Patriot!


26.

Nicht so, wer der Gesetze lacht,

Geheim nach Herrschaft geitzt,

Und schleicht, wie Pest, in finstrer Nacht,

Und zur Empörung reizt.


27.

Nein, Schweitzeradern, bleibet rein

Von solchem bösen Blut!

Der heiße Patriot allein,

Der Gutes will und thut!


Quelle:
Johann Kaspar Lavater: Ausgewählte Werke. Band 4, Zürich 1943, S. 2-6.
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