13. Die Nelke.

13. Die Nelke

[71] Vor langer, langer Zeit lebte einmal ein König, der ein braver und frommer Mann war. Er hatte noch keine Gemahlinn, und wollte lieber allein bleiben, als sich eine Frau nehmen, die nicht nach seinen Wünschen war.

Das Mädchen aber, wie er es sich wünschte, sollte ein gutes, frommes Herz haben, sanft und bescheiden, still und sittsam seyn; dabei galt es ihm gleich, aus welchem Stande sie wäre; auch sah er nicht auf Reichthum und auf Schönheit[71] des Körpers, weil dergleichen vergängliche Dinge allein den Menschen noch nicht glücklich machen könnten.

Lange schon hatte er nach einem solchen Mädchen geforscht, aber es immer noch nicht finden können, und wenn er auch zuweilen glaubte, es gefunden zu haben, so sah er doch bald, daß er sich geirrt habe.

Nun stand er an einem Sonntagsmorgen, als eben die Leute zur Kirche gingen, am Fenster, und sah eine wohlgekleidete Jungfrau daher kommen, die recht andächtig und sittig mit in die Kirche ging, und es war, als stände auf ihrem Gesichte geschrieben, daß sie von Herzen gut sey, und fromm und untadelhaft.

Da dachte er, die könnte wohl die rechte seyn, und als er hörte, daß sie ganz so war, wie er wünschte, so nahm er sie sich zur Gemahlinn, und beide waren recht glücklich, daß sie einander hatten; denn beide waren gleich fromm und gut. Aber noch weit glücklicher wurden sie, als der liebe Gott ihnen ein Prinzchen bescheerte, das recht munter und gesund war, worüber sie eine große Freude hatten.

Als nun der kleine Prinz getauft werden sollte, da sagte der König zu seine Gemahlinn: »Der liebe Gott hat uns das Kind geschenkt, er wird uns nun auch einen braven Gevattersmann schicken, der es recht gut mit unserm Kindlein meint. Ich will dieserhalb verkleidet und unbekannt ein wenig ausgehen, und der Erste, der mir auf der Straße begegnet, soll mein Gevatter, und unseres Kindes Pathe seyn.«

Das that er auch; und es begegnete ihm alsbald ein Mann, ganz einfach gekleidet, mit ernstem Angesicht, den eben niemand zu kennen schien. Er ging ihm nach, um zu sehen, wo er wohne, und erfuhr nun, daß er ein gottesfürchtiger Mann sey, der sich nicht viel mit der Welt abgebe, sondern er lebe ganz einsam vor sich hin, und thue[72] Keinem etwas zu Leide, Vielen aber Gutes, jedoch im Stillen.

»Das ist mein Mann!« sagte der König, und ging zu ihm hin, und bat ihn zum Gevatter.

Der Mann nahm die Einladung des Königs an, und versprach zu kommen.

Als nun der Tauftag erschien, kam der Mann, und bat den König, daß er das Kind allein zur Kirche tragen dürfe, und daß die Kirche hinter ihm zugeschlossen werden sollte.

Das hatte aber ein neugieriger Gärtner gehört, und weil ihm der Wunsch des Mannes so seltsam vorkam, so schlich er sich vorher heimlich in die Kirche, und versteckte sich, daß er nicht gesehen werden konnte. Da merkte er auf Alles, was der Mann that und sprach, und sah, wie er das Kind auf seinen Armen zum Altar trug, und Zeichen über dasselbe machte, und nachdem er ein frommes Gebet gesprochen hatte, ihm die Gabe verlieh, daß Alles, was es wünschen würde, ihm gewährt seyn sollte.

Da ward der Gärtner froh, und sann sich Böses aus, und dachte: Das soll dir zum Vortheil seyn!

Als nun eines Tages die Königinn mit dem Kinde auf dem Arme, und von der Wärterinn begleitet, im Schloßgarten spazieren ging – da brach plötzlich aus dem Gebüsche ein Bär auf sie ein, der hatte zwei Hörner am Kopfe, Greiffüße und greuliche Krallen, damit entriß er der Königinn, die in Ohnmacht gefallen war, das Kind, und trug es fort, indem er brummte: »Ich will es fressen!« Die Wärterinn aber war vor Angst und Schreck gleich davon gelaufen, ohne sich um die arme Königinn weiter zu bekümmern.

Unterdessen hatte der König das Unglück erfahren, welches seiner Gemahlinn begegnet war, und lief eiligst in den[73] Schloßgarten, ihr beizustehen. Sie hatte sich zwar schon wieder von ihrer Ohnmacht erholt; als sie aber ihr Kind nicht mehr sah, da fing sie bitterlich an zu weinen, und schrie und klagte: »Ach mein Kind, mein liebes Kind, das hat mir der Bär genommen und gefressen!« Da weinte und jammerte der König mit ihr, und beide waren trostlos, und konnten sich nicht zufrieden geben: denn sie hatten den kleinen Prinzen herzinniglich lieb, und große Freude an ihm.

Der Bär aber fraß das Kind nicht, denn es war kein wirklicher Bär; sondern der Gärtner, der den Mann in der Kirche behorcht, und sich nun vermummt hatte, um den Prinzen zu stehlen, damit er ihn einst zu seinem Nutzen gebrauchen könnte.

Damit aber niemand den Prinzen wiederfinden möchte, so trug er ihn weit, weit weg in einen Wald, wo lang und breit keine Menschen wohnten, als ein Förster, der sein alter Schulkamerad war. Dem erzählte er Alles, was sich mit dem Kinde zugetragen hatte, und stellte ihm vor, wie viel Gewinn sie einmal von der Habe des Prinzen haben könnten. Der Förster aber, der auch ein habsüchtiger Mann war, ließ sich bereden, nahm das Kind zu sich, und erzog es mit seiner Tochter, die Marie hieß, und von gleichem Alter mit dem Prinzen war.

Die Kinder wuchsen zusammen auf, und spielten und lernten mit einander, und ließen nicht von einander. Der Prinz wurde ein Jägersmann, und war brav und ehrlich, und Marie besorgte den Haushalt, und war sanft und fromm, dabei aber auch klug und schlau. Sie hatte schon öfters bemerkt, daß der Gärtner, wenn der Prinz im Walde war, heimlich viel mit ihrem Vater zu sprechen hatte, und daß ihr Gespräch den Prinzen betreffen müsse. »Was mag das zu bedeuten haben?« dachte sie; »du mußt doch einmal sehen, ob du es nicht erfahren kannst.«[74]

Als darauf der Gärtner wieder kam, und mit ihrem Vater in ein Nebenzimmer ging, paßte sie auf, und erfuhr nun, daß der junge Jägersmann, den sie immer für einen nahen Verwandten gehalten hatte, der Sohn des Königs sey, den der Gärtner als ein ganz kleines Kind der Königinn weggenommen habe, weil Alles, was er wünsche, sogleich in Erfüllung gehe.

Das hinterbrachte nun Marie dem Prinzen. »Gut,« sagte der Prinz, »daß ich das weiß. Aber von dir, gute Marie, laß ich nie, obschon ich ein Prinz bin: denn wir sind beisammen aufgewachsen, und müssen nun auch immer beisammen bleiben, weil wir uns einander gut sind, und von Herzen lieb haben.«

Nicht lange darauf kam der Gärtner wieder. Als der Prinz, der schon immer auf seine Ankunft gelauert hatte, ihn erblickte, verwünschte er ihn zu einem Pudel, seine Marie aber wünschte er zu einer Nelke. Dann ging er sogleich an seines Vaters Hof, und ließ den verwandelten Gärtner als Pudel neben sich herlaufen; aber seine Marie steckte er als Nelkenstrauß vor seine Brust.

Dem König gefiel der junge ernste Bursche sehr wohl, und er nahm ihn als Jäger in seinen Dienst. Er hatte ihn oft um sich, und gewann ihn täglich lieber, und nahm ihn immer mit sich auf die Jagd; zuletzt konnte er gar nicht ohne ihn leben, und es war ihm, als ob ihm etwas fehle, wenn der Jüngling nicht um ihn war. Mehrmals hatte der König ihm einen reichlichen Lohn für seinen Dienst geben wollen, aber er nahm nichts an, auch kein Essen. »Ich bedarf nichts, gnädiger König,« sagte er immer; »ich will Euch nur dienen aus Liebe.« Nur eine eigene Kammer hatte er gefordert, die er verschließen konnte, und hatte sie auch bekommen.

Das Alles kam seinen Kameraden ganz wunderlich vor,[75] und sie beneideten ihn ein wenig, weil er beim Könige so viel galt, und es ihnen Allen zuvor that: denn wenn niemand ein Wild fand, oder es erlegen konnte, so brachte er immer von allerlei Art. Das war aber keine Kunst, weil er ja nur zu wünschen brauchte.

Nun war es ihnen schon lange aufgefallen, und sonderbar vorgekommen, daß der junge Bursche seine Stube immer verschlossen hielt, er mochte darin seyn oder nicht. Da hätten sie gern gewußt, warum er das thäte, und sie nahmen sich vor, ihn zu belauschen.

Als er daher eines Mittags in seiner Stube war, sahen sie heimlich durchs Schlüsselloch, und erblickten den Jäger vor einem Tische sitzend, der mit den herrlichsten Speisen, und auch mit Wein, besetzt war, und ein hübsches Mädchen saß ihm gegenüber, und beide aßen und sprachen mit einander vergnügt und vertraulich. Da wunderten sie sich, wie er zu dem köstlichen Essen und dem niedlichen Mädchen gekommen sey. Das Essen hatte er sich aber nur zu wünschen gebraucht, und seine Marie durfte keine Nelke bleiben, wenn er daheim war, sondern bekam ihre natürliche Gestalt.

»Der muß recht reich seyn!« dachten die Kameraden, und brachen in seine Stube ein, als er einmal nicht zu Hause war, und glaubten nun große Reichthümer zu finden; aber sie fanden nichts, als eine wunderschöne Nelke in einem Glase mit Wasser. Die nahmen sie, und trugen sie, ihrer Wunderschönheit wegen, zum Könige. Der König aber bewunderte die herrliche Nelke, und da sie ihm ganz außerordentlich gefiel, so beschloß er, sie dem Jäger für großes Geld abzukaufen. Aber als die Nelke im Zimmer des Königs war, trauerte sie, und ließ die Blätter hängen.

Nun mußte der Jäger zum Könige kommen, der ihn recht freundlich empfing, und ihn fragte, ob er ihm nicht[76] die schöne Nelke, die auf seiner Stube gestanden habe, verkaufen wolle?

»Nein, edler Herr,« antwortete der Jäger, »die Nelke taugt nicht in Euern Händen; seht nur, wie sie die schönen Blätter hängen läßt.« Darauf nahm er die Nelke, und sagte: »O nein, liebe Nelke, dich laß ich nun und nimmermehr!« Indem er dies sagte, fing die Nelke an, sich wieder frisch aufzurichten, und einen wunderlieblichen Geruch umher zu verbreiten.

»Was sind das für wunderliche Dinge, mein Sohn?« fragte der König.

»Ja!« sprach der Jäger, »Euer Sohn bin ich wirklich.« Und nun entdeckte er dem Vaters Alles, wie es sich begeben hatte. Sogleich verwandelte er auch den Pudel wieder in den Gärtner, damit er die Wahrheit seiner Rede bezeugen sollte, und als er das gethan hatte, den Gärtner wieder in einen Pudel.

Die Aeltern, welche nun gar nicht daran zweifeln konnten, daß der junge Jäger wirklich ihr Sohn sey, waren überaus erfreut, und schlossen ihn entzückt in ihre Arme; die treue Marie mußte den Prinzen heirathen; aber der Pudel mußte Pudel bleiben, und unter dem Tische der Stallknechte sich Brot und Knochen suchen. – Alles im Schlosse und im ganzen Königreiche war froh, daß der Prinz wieder da war, nur der Pudel war es nicht.

Quelle:
Johann Heinrich Lehnert: Mährchenkranz für Kinder, der erheiternden Unterhaltung besonders im Familienkreise geweiht. Berlin [1829], S. LXXI71-LXXVII77.
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