Der Schmetterling

[224] Es irrt durch schwanke Wasserhügel

Im weiten, windbewegten Meer

Ein Schmetterling mit mattem Flügel

Und todesängstlich hin und her.


Ihn triebs vom trauten Blütenstrande

Zur Meeresfremde fern hinaus;

Vom scherzend holden Frühlingstande

Ins ernste, kalte Flutgebraus.


Auf glattgestreckte, sanfte Wogen

Hatt ihm das Meergras trügerisch

Viel schönre Wiesen hingelogen,

Wie westgeschaukelt, blumenfrisch.


Ihm war am Strand das leise Flüstern

Von West und Blüte nicht genug,

Es trieb hinaus ihn, wählig lüstern,

Zu wagen einen weitern Flug.[224]


Kaum aber war vom Strand geflogen

Des Frühlings ungeduldges Kind:

Kam sausend hinter ihm gezogen

Und riß ihn fort der böse Wind;


Stets weiter fort von seines Lebens

Zu früh verlornem Heimatglück;

Der schwache Flattrer ringt vergebens

Nach dem verschmähten Strand zurück.


Von ihrem Schiffe Wandersleute

Mit wehmutsvollem Lächeln sehn

Die zierlich leichte Wellenbeute,

Den armen Schmetterling vergehn.


O Faust, o Faust, du Mann des Fluches!

Der arme Schmetterling bist du!

Inmitten Sturms und Wogenbruches

Wankst du dem Untergange zu.


Du wagtest, eh der Tod dich grüßte,

Vorflatternd dich ins Geistermeer;

Du gehst verloren in der Wüste,

Von wannen keine Wiederkehr.


Wohl schauen dich die Geisterscharen,

Erbarmen lächelnd deinem Leid;

Doch müssen sie vorüberfahren,

Fortsteuernd durch die Ewigkeit.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 224-225.
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