An die Wolke

[67] Zieh nicht so schnell vorüber

An dieser stillen Heide,

Zieh nicht so scheu vorüber

An meinem tiefen Leide,

Du Wolke in der Höh,

Steh still bei meinem Weh!


O nimm auf deine Schwingen

Und trag zu ihr die Kunde,[67]

Wie Schmerz und Groll noch ringen

Und bluten aus der Wunde,

Die mir mit ihrem Trug

Die Ungetreue schlug.


Und kommst auf deinen Wegen

Du an vor ihrem Hause,

So stürze dich als Regen

Herunter mit Gebrause,

Daß sie bei dunkler Nacht

Aus ihrem Traum erwacht.


Schlag an die Fensterscheibe

Und schlag an ihre Türe

Und sei dem falschen Weibe

Ein Mahner an die Schwüre,

Die sie mir weinend sprach,

Und die sie lächelnd brach.


Und will sie das nicht hören,

So magst von deinem Sitze

Du, Donner, dich empören,

Dann rüttelt, all ihr Blitze,

Wenn ihr vorüberzieht,

An ihrem Augenlid!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 67-68.
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