Wanderung im Gebirge

[91] Erinnerung


Du warst mir ein gar trauter, lieber

Geselle, komm, du schöner Tag,

Zieh noch einmal an mir vorüber,

Daß ich mich deiner freuen mag!


Aufbruch


Des Himmels frohes Antlitz brannte

Schon von des Tages erstem Kuß,

Und durch das Morgensternlein sandte

Die Nacht mir ihren Scheidegruß:


Da griff ich nach dem Wanderstabe,

Sprach meinem Wirte: »Gott vergelt

Die Ruhestatt, die milde Labe!«

Zog lustig weiter in die Welt.


Die Lerche


Froh summte nach der süßen Beute

Die Biene hin am Wiesensteg;

Die Lerche aus den Lüften streute

Mir ihre Lieder auf den Weg.


Der Eichwald


Ich trat in einen heilig düstern

Eichwald, da hört ich leis und lind

Ein Bächlein unter Blumen flüstern,

Wie das Gebet von einem Kind;


Und mich ergriff ein süßes Grauen,

Es rauscht' der Wind geheimnisvoll,[91]

Als möcht er mir was anvertrauen,

Das noch mein Herz nicht wissen soll;


Als möcht er heimlich mir entdecken,

Was Gottes Liebe sinnt und will:

Doch schien er plötzlich zu erschrecken

Vor Gottes Näh – und wurde still.


Der Hirte


Schon zog vom Wald ich ferne wieder

Auf einer steilen Alpenwand;

Doch blickt ich oft zu ihm hinnieder,

Bis mir sein letzter Wipfel schwand.


Da irrten Kuh am Wiesenhange;

Der Hirte unterm Kieferdach

Hing still bei ihrem Glockenklange

Dem Bilde seines Liebchens nach.


Einsamkeit


Schon seh ich Hirt und Herde nimmer,

Ein Lüftchen nur ist mein Geleit;

Der steile Pfad wird steiler immer,

Es wächst die wilde Einsamkeit.


Dort stürzt aus dunkler Felsenpforte

Der Quell mit einem bangen Schrei,

Enteilt dem grauenvollen Orte,

Hinab zum freundlich grünen Mai.


Verschwunden ist das letzte Leben,

Hier grünt kein Blatt, kein Vogel ruft,

Und selbst der Pfad scheint hier zu beben,

So zwischen Wand und Todeskluft.


Komm, Gottesleugner, Gott zu fühlen;

Dein Frevel wird auf diesem Rand[92]

Den Todesabgrund tiefer wühlen,

Dir steiler türmen diese Wand! –


Die Ferne


Des Berges Gipfel war erschwungen,

Der trotzig in die Tiefe schaut;

Natur, von deinem Reiz durchdrungen,

Wie schlug mein Herz so frei, so laut!


Behaglich streckte dort das Land sich

In Ebnen aus, weit, endlos weit,

Mit Türmen, Wald und Flur, und wand sich

Der Ströme Zier ums bunte Kleid;


Hier stieg es plötzlich und entschlossen

Empor, stets kühner himmelan,

Mit Eis und Schnee das Haupt umgossen,

Vertrat den Wolken ihre Bahn.


Bald hing mein Auge freudetrunken

Hier an den Felsen, schroff und wild;

Bald war die Seele still versunken

Dort in der Ferne Rätselbild.


Die dunkle Ferne sandte leise

Die Sehnsucht, ihre Schwester, mir,

Und rasch verfolgt ich meine Reise

Den Berg hinab, zu ihr, zu ihr:


Wie manchen Zauber mag es geben,

Den die Natur auch dort ersann;

Wie mancher Biedre mag dort leben,

Dem ich die Hand noch drücken kann!


Das Gewitter


Noch immer lag ein tiefes Schweigen

Rings auf den Höhn; doch plötzlich fuhr[93]

Der Wind nun auf zum wilden Reigen,

Die sausende Gewitterspur.


Am Himmel eilt mit dumpfem Klange

Herauf der finstre Wolkenzug:

So nimmt der Zorn im heißen Drange

Den nächtlichen Gedankenflug.


Der Himmel donnert seinen Hader;

Auf semer dunklen Stirne glüht

Der Blitz hervor, die Zornesader,

Die Schrecken auf die Erde sprüht.


Der Regen stürzt in lauten Güssen;

Mit Bäumen, die der Sturm zerbrach,

Erbraust der Strom zu meinen Füßen; –

Doch schweigt der Donner allgemach.


Der Sturm läßt seine Flügel sinken,

Der Regen säuselt milde Ruh;

Da sah ich froh ein Hüttlein winken

Und eilte seiner Pforte zu.


Der Schlaf


Ein Greis trat lächelnd mir entgegen,

Bot mir die Hand gedankenvoll

Und hob sie dann empor zum Segen,

Der sanft vom Himmel niederquoll;


Und ich empfand es tief im Herzen,

Daß Zorn der Donner Gottes nicht;

Daß aus der Weste leichten Scherzen

Wie aus Gewittern Liebe spricht.


Und einen Labebecher trank ich

Und schlich, wohin die Ruh mich rief,

Hinaus zur Scheune; müde sank ich

Hier in des Heues Duft – und schlief.[94]


Was mich erfreut auf meinen Wegen,

Das träumt ich nun im Schlafe nach;

Und träumend hört ich, wie der Regen

Sanft niederträufelt' auf das Dach.


Süß träumt es sich in einer Scheune,

Wenn drauf der Regen leise klopft;

So mag sichs ruhn im Totenschreine,

Auf den die Freundeszähre tropft.


Der Abend


Die Wolken waren fortgezogen,

Die Sonne strahlt' im Untergang

Und am Gebirg der Regenbogen,

Als ich von meinem Lager sprang.


Da griff ich nach dem Wanderstabe,

Sprach meinem Wirt ein herzlich Wort

Für Ruhestatt und milde Labe

Und zog in stiller Dämmrung fort.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 91-95.
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