Das Posthorn

[15] Still ist schon das ganze Dorf,

Alles schlafen gangen,

Auch die Vöglein im Gezweig,

Die so lieblich sangen.


Dort in seiner Einsamkeit

Kommt der Mond nun wieder,

Und er lächelt still und bleich

Seinen Gruß hernieder;


Nur der Bach, der nimmer ruht,

Hat ihn gleich vernommen,

Lächelt ihm den Gruß zurück,

Flüstert ihm: willkommen!


Mich auch findest du noch wach,

Lieber Mond, wie diesen,[15]

Denn auf immer hat die Ruh

Mich auch fortgewiesen.


Mich umschlingt kein holder Traum

Mit den Zauberfäden,

Hab mit meinem Schmerze noch

Manches Wort zu reden. –


Ferne, leise hör ich dort

Eines Posthorns Klänge,

Plötzlich wird mir um das Herz

Nun noch eins so enge.


Töne, Wandermelodei,

Durch die öden Straßen;

Wie so leicht einander doch

Menschen sich verlassen!


Lustig rollt der Wagen fort

Über Stein' und Brücken;

Stand nicht wer an seinem Schlag

Mit verweinten Blicken?


Mag er stehn! die Träne kann

Nicht die Rosse halten;

Mag der rauhe Geißelschwung

Ihm die Seele spalten!


Schon verhallt des Hornes Klang

Ferne meinem Lauschen,

Und ich höre wieder nur

Hier das Bächlein rauschen.


Ich gedenke bang und schwer

Aller meiner Lieben,

Die in ferner Heimat mir

Sind zurückgeblieben;


Diese schöne Sommernacht

Muß vorübergehen[16]

Und mein Leben ohne sie

Einsamkeit verwehen.


Mahnend ruft die Mitternacht

Mir herab vom Turme.

Ferne! denket mein! die Zeit

Eilt dahin im Sturme!


Unsre Gräber, denket mein!

Sind schon ungeduldig! –

Daß wir nicht beisammen sind,

Bin ich selber schuldig.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 15-17.
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