Winternacht
1.

[22] Vor Kälte ist die Luft erstarrt,

Es kracht der Schnee von meinen Tritten,

Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart;

Nur fort, nur immer fortgeschritten!


Wie feierlich die Gegend schweigt!

Der Mond bescheint die alten Fichten,

Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt,

Den Zweig zurück zur Erde richten.


Frost! friere mir ins Herz hinein,

Tief in das heißbewegte, wilde!

Daß einmal Ruh mag drinnen sein,

Wie hier im nächtlichen Gefilde!


2.

Dort heult im tiefen Waldesraum

Ein Wolf; – wie's Kind aufweckt die Mutter,

Schreit er die Nacht aus ihrem Traum

Und heischt von ihr sein blutig Futter.


Nun brausen über Schnee und Eis

Die Winde fort mit tollem Jagen,

Als wollten sie sich rennen heiß:

Wach auf, o Herz, zu wildem Klagen![22]


Laß deine Toten auferstehn

Und deiner Qualen dunkle Horden!

Und laß sie mit den Stürmen gehn,

Dem rauhen Spielgesind aus Norden!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 22-23.
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