An J. Klemm

[123] O säume nicht, mit Wein, Gesang und Kosen

Dein Herz zu frischen! sieh, die Jugend flicht

In deinen Strauß schon ihre letzten Rosen,

Bald wendet sie das holde Angesicht

Und flieht und schwindet tief und tiefer immer

Im Hain Vergangenheit – und kehret nimmer.


Dann gilts, empor zur Lebenshöh zu dringen,

Dann hörst du hinter dir im Blütental

Das ›Gaudeamus igitur!‹ verklingen,

Und deine Bahn wird glühend, schroff und kahl:

Am Strauße, den die Jugend dir gewunden,

Ist bald so Duft wie Farbenpracht verschwunden.


Doch wallst du einst zur Abendherberg nieder,

Tränkt kühler Tau den welken Blumenstrauß,

Dann blüht er neu mit Duft und Farbe wieder;

Du setzest müde dich vors stille Haus,

Spielst mit dem Strauß, dem Kinde schöner Zeiten,

Und schlummerst ein – die Blumen dir entgleiten.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 123-124.
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