3.

[377] Während Mischka geigt im Edelhause,

Schleicht ein Mann zur strohgedeckten Klause.

Mira steht allein und sinnend,

Ihrem Vater eine Saite spinnend,

Und sie hört, schon will der Abend dämmern,

An der Tür, erstaunt, ein leises Hämmern.

»Ach, wer pocht?« so ruft die Maid beklommen,

»Räubern kann ihr Frevel hier nichts frommen,

Und der Bettler fürchtet, bei so Armen

Koste ihm ein Scherflein sein Erbarmen!«[377]


Doch sie hört um Einlaß Worte bitten

Von so sicher weichem Klange,

Mit so süßem Schmeichelzwange,

Daß sie öffnen geht mit schnellen Schritten;

Einen schönen Jüngling vor sich stehen

Sieht sie, wie sie keinen noch gesehen.


Und er spricht, ihr huldigend, die Worte:

»Ja, ein Bettler kam an deine Pforte,

Ach, ein Bettler ist es, schmerzlich darbend,

Doch nicht Geld, noch Brot, kein Labekrug,

Du nur, du allein bist ihm genug;

Wund ist mir das Herz und nie vernarbend.


Seit ich dich erblickt, du schönste Maid,

Treibt mich rastlos irr mein Liebesleid.

Wenn ich jage, gleich ich selbst dem Wild,

Überall gejagt von deinem Bild.

Wie das Wild, verfolgt, zum Schatten trachtet,

Wie es blutend nach der Quelle schmachtet,

Zieht es mich zu deinen Füßen nieder,

In den Schatten deiner Augenlider,

Glüht die Seele, vor dir hinzusinken

Und ein holdes Wort von dir zu trinken.

Peinlich scheint mir nun mein wildes Roß

Unter meinen Wünschen hinzuschleichen,

Wenn mein Sporn ihm stachelt in die Weichen,

Daß es hinbraust wie ein Wetterstoß,

Schleudernd blanken Schaum aufs Heidekraut,

Und die Rossehirten jubeln laut.

Wenn die Kerzen der Kapelle brennen

Und der Priester opfert am Altare,

Bete ich von Gott, du Wunderbare,

Namen nur, die deine Reize nennen.

Dein gedenk ich wachend und im Schlafe,

Jeder Traum, von Liebesschmerz gebunden,[378]

Ruft nach dir und klagt dir seine Wunden,

Wie nach seiner Heimat weint der Sklave!«


Mira spricht, indem sie hold errötet:

»Sind, o Jüngling, deine Worte wahr,

Werd ich sein glückselig immerdar;

Täuschen sie, so hast du mich getötet.

Eines edlen Stamms du schöner Sprosse,

Nach der Niedern treibt dich ein Verlangen;

Doch du mußt, hat dich mein Arm umfangen,

Bleiben bis zum Grabe mein Genosse!«


Wie im Land, von wannen Mira stammt,

Dort in Indien heiß die Sonne flammt,

Süße Frucht mit schnellem Strahle reifend,

Also urgewaltig, schnell ergreifend

Ist ins Herz die Liebe ihr gedrungen,

Weinend ist sie ihm ans Herz gesprungen.


Hochzeit jubelt dort im Edelhause,

Offen, mit Gepränge und Gebrause;

Hier im Hüttlein still und schlicht, allein,

Kaum belauscht von einem Dämmerschein,

Welchen durch der Scheiben trübe Blenden

Sterne nach dem Erdenhimmel senden.

Hochzeit feiernd, hat im Haus die Stille

Mit dem Dunkel traulich sich verschwistert,

Nur das Stroh des Lagers, wenn es knistert,

Spielt Musik, und zirpend eine Grille.

Vieles wird mit Worten süß begonnen

Und vollendet in des Kusses Wonnen.

Und vorüber braust an Wort und Kuß

Draußen durch die Nacht der wilde Fluß.

Nur zuweilen ruhn und horchen beide

Nach der Marosch ungestümen Wellen,

Wie einst von der Paradiesesweide

Aufgelauscht das Wild den Tigrisquellen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 377-379.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Faust: Ein Gedicht
Gedichte
Die schönsten Gedichte
Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon