Mischka an der Theiss

[369] In dem Lande der Magyaren,

Wo der Bodrog klare Wellen

Mit der Tissa grünen, klaren,

Freudig rauschend sich gesellen,

Wo auf sonnenfrohen Hängen

Die Tokayertraube lacht:

Reiten lustig mit Gesängen

Drei Husaren in der Nacht.

Und der Fischer, der die leisen

Netze warf im Mondenstrahl,

Hört vergnügt die Heldenweisen

Klingen weithin durch das Tal,

Höret durch des Liedes Pausen

Hellen Schlag von Rosseshufen

Und des Stromes Wellen brausen

Und das Echo ferne rufen.

Bald entschwunden sind die Lieder

Und der Waffen heller Schein,

Und es hört der Fischer wieder

Rauschen nur den Strom allein.

»Haben doch ein schönes Leben,

Diese flüchtigen Husaren!

Zwischen Freuden und Gefahren

Hoch zu Rosse hinzuschweben,

Jubelnd in die Schlacht zu fliegen

Und zu sterben oder siegen

Für das Vaterland, den König!

Ach, dem Fischer ziehn die Tage

Mit dem dumpfen Wellenschlage

Arm vorüber und eintönig!«

Also denkt in stillem Sinnen[369]

Dort der Fischer trübgemut,

Sieht des Stromes muntre Flut

Mondbestrahlt hinunter rinnen.

Wie er starret in die Wellen,

Malt die Sehnsucht ihre Träume

In die schwanken lichten Räume

Ihrem nächtlichen Gesellen,

Und er schaut im Wellentanze

Kriegesszenen mancherlei,

Männer ziehn im Waffenglanze,

Und es rauscht die Schlacht vorbei;

Und ihm deucht, ob aus den Tiefen

Fernverworrne Stimmen riefen,

Kampfgetös, Trommetenklänge,

Feindesflucht und Siegsgesänge. –

Und der Fischer träumt noch lange

Sich ein froh Husarenleben,

Er vergißt, das Netz zu heben

Und zu sehn nach seinem Fange. –

Ferne reiten schon die drei

In dem Tale von Tokay.

Sie verstummten allgemach,

Still für sich ein jeder zieht,

Lauscht den Stimmen, die das Lied

Rief in seinem Herzen wach.

Wie sie reiten, wie sie schweigen

In dem schönen Tokaytal,

Bringen Winde Mal auf Mal

Klänge her von fernen Geigen.

»Zimbalschlag mit Geigenklängen,

Das ist Mischka, seine Bande!«

Ruft der eine, und sie sprengen

Schnell zur Schenk am Tissastrande,

Von den Rossen abgesprungen

Sind sie schnell, und klirrend ein[370]

Treten die drei Reiterjungen:

»Mischka, streiche! Wirt, gib Wein!«

Manche Geige mag im schönen

Lande der Magyaren tönen,

Doch im Land die Geige keiner

Spielt wie Mischka, der Zigeuner.

Wohlgefällig trifft des Alten

Blick die hohen Mannsgestalten,

Ihre schmucken, schimmerblanken

Waffen und Husarenputz;

Auf dem Haupt, voll Kraft und Trutz,

Federbüsche drohend schwanken.

Mischka steht von seinem Sitz,

Schwingt den Wein zum Gruß empor,

Aus den schwarzen Locken vor

Fährt ein froher Augenblitz:

»Die Husaren sollen leben!«

Ruft der Geiger; »Krieg solls geben!«

Rufen die drei Schwertgenossen,

Eilen mit ihm anzustoßen.

»Hab in meinen Jugendtagen,

Denen ich nachhinke jetzt,

Auch mein Reiterschwert gewetzt,

Eh die Kugel mich geschlagen,

Focht in euren tapfern Scharen;

Mancher Franzmann mußte reisen,

Dem mein scharf Husareneisen

Zwischen Leib und Seel gefahren!«

Also spricht der Mischka heiter

An die jungen Ungarreiter;

Drauf er rasch die Geige nimmt,

Scharfgenau die Saiten stimmt,

Gibt dem Bogen noch des Harzes,

Und sein Haar, sein langes, schwarzes,

Wirft er schüttelnd ins Genick,[371]

Drückt die Fiedel unters Kinn,

Und sein dunkler Feuerblick

Winkt der Bande zum Beginn.

Mischka voll und langsam zieht

Ein uraltes Schlachtenlied

Das vor manchen hundert Jahren

Klang versunknen Heldenscharen,

Das mit seiner wilden Klage

Aufgefacht den Kriegesmut,

Als die Ungarn ihre Tage

Tränkten noch mit Türkenblut,

Als sie speisten ihre Nächte,

Mit gehäuften Türkenleichen,

Weil des Wahnes grimme Knechte

Drohten allen Christenreichen. –

Schneller brausen jetzt die Töne,

Kühner Herzen wilde Söhne;

Ihren ungestümen Reigen

Führen die verwegnen Geigen,

Mischkas Geige doch vor allen

Hört man aus dem Kampfe schallen.

Und des Zimbals Hämmer pochen,

Bald wie Sturm hereingebrochen,

Bald hinsäuselnd durch die Saiten,

Hörbar kaum, wie nach der Schlacht

Frühlingswinde in der Nacht

Durch die Wahlstatt flüsternd gleiten,

Heiße Todeswunden kühlend,

Mit dem Haar der Leichen spielend.

Aber langsam, ernst und trübe

In der Tiefe wühlt der Baß,

Ob er dort dem wilden Haß

Grab an Grab im Boden grübe. –

Ha! wie tanzen die Husaren,

Echte Söhne der Magyaren![372]

In der Freude Sturmeswogen

Unaufhaltsam fortgezogen

Von des Klanges dunkeln Mächten,

Schwingen sich die Starken, Flinken,

Hoch die Flasche in der Linken,

Hoch den Säbel in der Rechten.

Und den Reitern durch die Kehlen

Strömt im Tanz das süße Feuer,

Strömt der herrliche Tokayer,

Wie das Lied durch ihre Seelen.

Nach dem Takt der kühnen Weisen

Klirrt der Sporen helles Eisen,

Und im Takt des Tanzes singen

Lassen sie die Säbelklingen.

Wie sie jetzt die Faust empören,

Im Gebrauch aus alten Tagen,

Und beim Schwertzusammenschlagen

Haß und Tod den Türken schwören!

Wilder stets Musik erwacht;

Rasen die Zigeunerleute?

Werden sie der Übermacht

Ihres Liedes selbst zur Beute?

Horch, wie scherzend, horch, wie klagend

Und das Herz von hinnen tragend,

Mischkas Wundergeige waltet,

Durch und durch die Seele spaltet.

Diese bangen, diese süßen,

Zauberhaften Töne müssen

In das Land der Schatten dringen

Und die Toten wiederbringen.

Dieses Zittern seiner Saiten

Ist das Schwanken einer Brücke,

Drauf zurück zum Erdenglücke

Sehnsuchtsvoll die Geister schreiten,

Drauf der Helden Geister wallen,[373]

Treu der Heimat süßem Drange,

Die bei dieses Liedes Klange

In der Vorzeit sind gefallen;

Und sie schweben und sie schwanken

Um die Tänzer ungesehen,

Ihnen an die Stirn zu wehen

Flammenhelle Schlachtgedanken,

Sie mit Träumen zu berücken,

In die Vorwelt zu entzücken.

Plötzlich stürzen die Husaren

An den Strand hinaus mit Macht,

Und sie rasen in die Nacht:

»Wo? wo sind die Türkenscharen?«

Hauen pfeifend in die Luft;

Doch kein ›Allah!‹ Antwort ruft.

Nur die Tissa ist noch munter,

Zieht dahin mit dumpfem Brausen,

Und des Ufers Büsche sausen;

Friedlich strahlt der Mond herunter.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 369-374.
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