Die Bauern am Tissastrande

[400] Törichte Freunde des toten Alten,

Fahrend in ausgeleierten Gleisen,

Tanzend nach verklungenen Weisen,

Möge dies Märlein euch unterhalten!


Warme lebendige Lüfte wallen

Über dem schönen Magyarenlande,

In den Gebüschen die Nachtigallen

Singen entzückt am Tissastrande.

Fischlein, springend mit stillem Ergetzen,

Holen vom Lenz sich flüchtigen Kuß,

Fürchten sich nicht vor den silbernen Netzen,

Welche der Mond warf über den Fluß.[400]


Brausend vor Freude, münden die Quellen,

Und das lenzbezauberte Land,

Weil es nicht blühn kann unter den Wellen,

Blüht es hier doppelt als üppiger Strand,

Weil es nicht singen kann unter den Wogen,

Singt es dafür hier doppelt so laut,

Liebestönen, schmachtend gezogen,

Lauscht des Sprossers glückselige Braut.


Rüstig rudern dort über die Wellen

Lustige Bauern mit Scherzen und Lachen,

Und die Zigeuner, ihre Gesellen,

Stimmen die Geigen bereits im Nachen,

Stoßen ans Land und eilen zur Schenke;

Weil so laut das heischende Rufen,

Springen die Wirte schon mit dem Getränke

Über die finsteren Kellerstufen.


Um den Eichtisch sitzen die Alten,

Vor dem Tanze noch Schmaus zu halten.

Zum Abschnitt gereicht, in der Runde

Geht das köstliche Weizenbrot,

Und sie führen behaglich zum Munde

Feurigen Wein, tiefdunkelrot;

Wischen sich trocken und schieben zur Seite,

Daß er den Speisen den Weg nicht bestreite,

Schnurrbarts buschigten halben Kranz;

Braten und Schinken, warme und kühle,

Wandern geschwind in die knöcherne Mühle,

Dort die Jungen fliegen zum Tanz.


Hei! wie die Geigen singen und klingen!

Heil wie die Hämmer des Zimbals springen

Über die Saiten frisch auf und nieder,

Pochender Herzschlag heimischer Lieder.

Himmel! wie jauchzen die Geigen so helle,[401]

Schmetternd schreit Klarinette, die grelle.


Weinendes Klagen, Freudengekicher

Schüttern im schroffen Wechsel die Luft,

Setzen gewaltig, keck und sicher

Über des Mißklangs drohende Kluft.

Alle die Töne, sie klettern, sie tanzen,

Wildverschlungen wie Urwaldpflanzen,

Wildhinfahrend wie schwelgende Flammen,

Aber der Brummbaß hält sie zusammen.


Kräftige Bursche tanzen im Saale,

Schwingen empor die hurtigen Weiber,

Werfen empor die blühenden Leiber

Hoch in die Luft, wie süße Pokale;

Drehen sie schnell im wechselnden Kreise

Nach der Musik beschleunigter Weise,

Wie der wirbelnde Strom den Kahn,

Wie ein Rosenblatt der Orkan.

Zitternd dröhnt die gestampfte Diele

Zu der Zigeuner mächtigem Spiele.


Auch die Alten sind aufgesprungen,

Als die beliebte ›Werbung‹ erklungen,

Uralt immer willkommne Klänge,

Nie vergeßne Ahnengesänge.

Was längst Asche ruht in den Grüften,

Tanzte und jauchzte bei diesen Tönen;

Von den Toten klingt in den Lüften

Freuden Vermächtnis den späten Söhnen.

Wie gebannt von den Geistern der Alten,

Wollen nichts Neues hören die Bauern;

Und der Zigeuner muß ausdauern,

Darf nicht wechseln noch innehalten.

Also tanzen sie Stund auf Stunde

Immer zur alten beliebten Weise,[402]


Bis die Zigeuner, müd zum Grunde,

Heimlich sich winken und – spielen leise.

Doch die Berauschten merken es nimmer,

Hören des Liedes Vollklang noch immer.

Leiser und leiser, bis zur Ersterbung

Hallt und verhallt die lustige Werbung;

Baß und Flöte, Zimbal und Geigen

Haben sich stille hinaus verloren,

Doch der Musik und des Weines Toren,

Hören sie immer noch, springen den Reigen;

Springen ihn, bis der Sonnenschein

Strahlend bricht durch die Fenster herein

Und der Wirt rings »Guten Tag!«

Wünscht mit kräftigem Schulterschlag. –

Weithin das lachende Märlein fliegt

Von den Toren, die immer noch sprangen,

Während schon längst, erschöpft und versiegt

Ihre Musik war heimgegangen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 400-403.
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