Die Nonne und die Rose

[398] Dunkle Wolken niederdrohten,

Und es zuckten Wetterscheine,

Brausend jagten schon die Boten

Des Gewitters durch die Haine.[398]


Eine Rose dort am Aste,

Schöne Nonne, sahst du beben,

Und ein Bangen dich erfaßte

Um der Rose zartes Leben.


Sie zu wahren vor den Wettern,

Schnittest du sie schnell vom Strauche,

Eh der Sturm sie kann entblättern

Und entführen ihre Hauche.


Draußen tobt des Frühlings Eile,

Rosen flattern weithin, irre;

Deine blüht noch eine Weile

Scheinlebendig im Geschirre.


Teilte sie nicht, schnell verglühend,

Lieber solche Frühlingslose?

Schöne Nonne, still verblühend,

O wie gleichst du dieser Rose!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 398-399.
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