Einem kritischen Nachtarbeiter

[479] Weil ein Wort der Diätetik

Besser noch mir mag gelingen,[479]

Als ein Wort dir der Ästhetik,

Will ich einen Rat dir bringen.


Hast du auf des Tages Bahnen

Müd gelaufen deine Glieder,

Zupft mit wohlgemeintem Mahnen

Dir der Schlaf die Augenlider:


Wolle nicht, hinüberduselnd,

Für die Welt geschwind noch richten,

Hegelisch-ästhetisch nuselnd,

Was du nicht verstehst, mein Dichten;


Schlagen nicht das Haupt vom Rumpfe

Meinem Werk mit plumpen Scherzen,

Schnell, beim letzten Flackerstumpfe

Deiner abgebrannten Kerzen.


Denn dir leuchten zum Erkennen

Keine hellen Kunstgestirne;

Armer Kauz, du scheinst zu brennen

Talg im Leuchter und Gehirne.


Darum halte dich geschieden

Von den kritischen Bezirken,

Leg aufs Ohr dich, gönn dir Frieden,

Dein Beruf ist Werkelwirken.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 479-480.
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