Der selige Abend

[170] Schnell versammelt um die Felsen

Haben Wolken sich und Winde,

Um den neuen Gast zu grüßen,

Seines Kummers Spielgesinde.


Ausgeloschen ist das Mondlicht

Und der Sterne helles Flimmern,[170]

Durch die enge Fensterspalte

Hört der Gast die Lüfte wimmern.


Traurig sinnend blickt Johannes

In die dunkle Ferne nieder,

Und es flattern seine Locken

Windgeschaukelt hin und wider;


Flattern um die blasse Stirne

Wie das Laub der Trauerweiden

Um die bleiche Marmortafel

Über den begrabnen Freuden.


Er gedenket eines Abends,

Eines seligen vor allen,

Als in Martigues er gelandet

Mit den Freunden und Vasallen.


Ruhig lag die sturmerprobte

Genuesische Galeere,

Lustig flogen ihre Wimpel,

Und der Tag versank im Meere:


Scheidend warf er seine Strahlen

In der Wellen bunt Gedränge,

Wie ein König, goldverstreuend,

Scheidet von der frohen Menge.


Nach dem Sturme lag die See nun

Schön in ihrer stillen Größe;

Nur noch manchmal an das Ufer

Tönten bange Wellenstöße:


Also zuckt nach starkem Weinen

Noch das Herz mit bangem Schlage,

Ist auch schon das Auge heiter

Und verstummt des Mundes Klage.[171]


Lieblich war der Lüfte Säuseln

Nach dem rauhen Sturmestosen;

Auf der Meeresruhe schwebten

Die Gesänge der Matrosen. –


Dicht am Strande, schmuck und wirtlich,

Winkt der Gasthof mit dem Schilde

Dreier Lilien, einzukehren

Zu dem schönen Engelbilde:


Klara Hebert, weit gepriesen

Rings im Lande ob der Blüte

Ihrer Schönheit, weit im Lande

Ob des Herzens Wundergüte.


Laut mit ungestümer Freude

Tritt der Seemann in das Zimmer,

Dringend heischt er nach dem Becher;

Doch sein Mut wird stiller immer.


Ihm kredenzt der Wirtin Tochter

Freundlich mit den zarten Händen,

Und er läßt den Becher stehen,

Kann sein Auge nimmer wenden.


Nun sie seinem Blick entschwunden,

Trinkt er aus mit raschem Zuge;

Daß sie noch einmal ihn fülle,

Klopft er sachte mit dem Kruge.


Seine Seele ward ergriffen

Schmerzlich von der Liebe Ahnen,

Die für immer er verloren

Auf den sturmbewegten Bahnen.


Und er eilt hinaus zum Strande,

Fort treibt ihn sein wild Verlangen,

Daß die Stürme ihm entschlagen

Dieses ungewohnte Bangen. –[172]


Mit dem glänzenden Gefolge

War der Prinz nun angekommen;

Ihn empfing die Wirtin rauschend,

Ihre Tochter still beklommen.


Schüchtern vor dem fremden Fürsten

Steht sie, harrend der Befehle,

Kaum zu ihm hinanzublicken

Wagt ihr Auge, voller Seele.


Tiefen Ernst und süße Schwermut

Sprechen seine schönen Züge,

Und des Auges Blitz verkündet

Hell des Mutes hohe Flüge.


Froh erschrecken ihre Blicke,

Und sie können nicht verweilen,

Müssen mit dem schönen Bilde

Schnell zurück zum Herzen eilen.


Überwältigt von der Liebe

Selig dringendem Erwarten,

Treten beide unwillkürlich,

Stumm und bebend, in den Garten.


Also wandeln sie noch lange

Mit verschwiegenem Gefühle;

Gastlich bieten hier die Bäume

Süße Frucht und Schattenkühle.


Nachtigallen, immer lauter,

Singen auf den grünen Zweigen,

Gleich als wollten sie verraten,

Was die beiden sich verschweigen.


Freudig grüßen schon die Sterne

Sie auf ihrem schönsten Gange;

Endlich wird die Liebe Sprache,

Und sie flüstern viel und lange.[173]


Klärchen hört die Zauberworte,

Daß sie ihm auf weiter Erde

Die alleinzige Geliebte

Sei und immer bleiben werde.


In der Jungfrau Busen plötzlich

Ist der Himmel aufgegangen,

Seines Lenzes Purpurblüten

Treibt das Herz ihr auf die Wangen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 170-174.
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