Schlußgesang

[887] Wofür sie mutig alle Waffen schwangen

Und singend in die Todesfeuer sprangen,

Was war es? trotzte hier ein klarer Blick

Ins Herz der Freiheit jedem Mißgeschick?

War's Liebe für die heilige, erkannte,

Die heißer als die Scheiterhaufen brannte?

War's von der Freiheit nur ein dunkles Ahnen,

Dem sie gefolgt auf allen Schreckensbahnen?

Mehr nicht! – doch soll die Edlen darum eben

Bewunderung und Wehmut überleben.

O ernste Lieb zur Freiheit, schönes Werben,

Wenn ihre Spur genügt, dafür zu sterben! –


Und dringt die Frage weiter in mein Lied,

Warum es nicht so wilden Graus vermied,

Warum es ruft nach jenes Greuels Schatten,

Den die Geschichte froh war zu bestatten?

Wozu begrabnes Leid lebendig singen

Und gegen Tote Haß dem Herzen bringen?

Hat unsre Zeit nicht Leids genug für Klagen?

Hat Haß nicht manchen, der da lebt, zu schlagen?


Doch weile auf der Vorwelt unser Blick,

Die Vorwelt soll uns tief im Herzen wühlen,[887]

Daß wir uns recht mit ihr zusammenfühlen

In ein Geschlecht, ein Leben, ein Geschick.


Der Wandrer gibt dem Freund, der nach ihm schreitet,

Wo sich der Scheideweg im Walde spreitet,

Den Weg, den er gewandelt, treulich kund,

Er streut ihm grüne Reiser auf den Grund;

So ließen uns die alten Kämpfer Zeichen:

Die Trümmer ihres Glücks und ihre Leichen.


Geteiltes Los mit längstentschwundnen Streitern

Wird für die Nachwelt unsre Brust erweitern,

Daß wir im Unglück uns prophetisch freuen

Und Kampf und Schmerz, sieglosen Tod nicht scheuen.

So wird dereinst in viel beglücktern Tagen

Die Nachwelt auch nach unserm Leide fragen.


Woher der düstre Unmut unsrer Zeit,

Der Groll, die Eile, die Zerrissenheit? –

Das Sterben in der Dämmerung ist schuld

An dieser freudenarmen Ungeduld;

Herb ists, das langersehnte Licht nicht schauen,

Zu Grabe gehn in seinem Morgengrauen.

Und müssen wir vor Tag zu Asche sinken,

Mit heißen Wünschen, unvergoltnen Qualen,

So wird doch in der Freiheit goldnen Strahlen

Erinnerung an uns als Träne blinken.


Nicht meint das Lied auf Tote abzulenken

Den Haß von solchen, die uns heute kränken;

Doch vor den schwächern, spätgezeugten Kindern

Des Nachtgeists wird die scheue Furcht sich mindern,

Wenn ihr die Schrumpfgestalten der Despoten

Vergleicht mit Innozenz, dem großen Toten,[888]

Der doch der Menschheit Herz nicht still gezwungen

Und den Gedanken nicht hinabgerungen.


Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen,

Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen

Mit Purpurmänteln oder dunklen Kutten;

Den Albigensern folgen die Hussiten

Und zahlen blutig heim, was jene litten;

Nach Huß und Ziska kommen Luther, Hutten,

Die dreißig Jahre, die Cevennenstreiter,

Die Stürmer der Bastille, und so weiter.


Fußnote

1 Der Name Albigenser war ein gemeinsamer, unter welchem die katholische Kirche jener Zeit die verschiedenartigsten, moralisch und dogmatisch divergierendsten Ketzersekten zusammenbegriff. Sie glaubten nicht alle einen Dualism; auch sollen überhaupt durch das nachstehende Bekenntnis nur ohngefähr die äußersten Linien ihrer Abweichung vom kirchlichen Dogma angedeutet werden.


Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970.
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