Die Höhle

[808] Im Wald ist eine Höhle tief und still,

Wohin kein Strahl gelangt, kein Windhauch streicht,

Wohin das matte greise Wild sich schleicht,

Wenn es im Dunkeln heimlich sterben will.


Dort steht ein Mönch, den Blick zum Boden senkend,

Wo Knochen viel zerstreut, und also denkend:

›Ists Reinlichkeit und angeborne Zucht,

Daß sterben geht das Wild in dunkle Schlucht?

Und möchte nicht die Seele, die sich trennt,

Verscharren gern die Leich, ihr Exkrement?

Schämt sich das Wild des Tods? ein Ahnungsschein,

Daß Tod nicht war im Paradieseshain,

Als es gewandelt noch in Gottes Huld,

Und dämmert traurig ihm die Erdenschuld? –

Es wäre mehr vielleicht als von den Sternen,

Vom Tier in seiner Todesnot zu lernen.‹


Dominikus, der strengste Mönch von allen,

Die mit der Welt und ihrer Lust zerfallen,

Von heiliger Askese bleich und hager,

Sucht für die Nacht im Walde sich ein Lager.


Er zog von Ort zu Ort, wo Ketzer weilen,

Bemüht, zu seinem Glauben sie zu heilen,

Viel Tage lang, viel schlummerlose Nächte

Hielt er mit ihnen heiße Wortgefechte;

Bei manchen ist dem Mönch ein Sieg gelungen,

Die meisten blieben starr und unbezwungen.


Nun ziehn den Müden endlich seine Glieder

Erschöpft zum langentbehrten Schlafe nieder.

Doch dünket ihm des Waldes Moos zu weich,

Der Vöglein Schlummerlied zu wonnereich,[808]

Erst in der Höhl, auf harten Tiergebeinen

Streckt er zu kurzer Ruhe hin die seinen.


Er gönnt die Ruhe nur dem armen Leibe,

Daß er ihn bald zu neuen Qualen treibe;

Und darf sein dürrer Mund zum Quell sich senken,

So will er nur den Schmerz des Leibes tränken;

Die karge Kost soll die Entsagung stärken

Und rüsten nur zu neuen Kampfeswerken.

So drückt er seinen Leib als ein Tyrann

Und nährt ihn doch, daß er nicht sterben kann.


Kaum aber war der finstre Mönch entschlafen,

Als weckend ihn verworrne Töne trafen;

Er fährt empor, es murmeln dumpfe Stimmen,

Er sieht im Grund der Höhle mattes Glimmen,

Und leise schleicht er nach dem Licht, dem Schalle,

Und steht am Eingang einer weiten Halle.


Die Hall erleuchtet heller Fackelbrand,

Inmitten ist ein hoher Greis zu schauen,

Der hält die Bibel hoch in seiner Hand,

Und ihn umlauschen Männer rings und Frauen.


Er spricht: »In diesen Blättern ist enthalten

Des Heiles viel und manche Gotteskunde.

Nicht am Altar sollt ihr die Hände falten,

Die Predigt höret nicht aus Sünders Munde,

Ihr sollet keine Kirche mehr betreten,

Nicht trinkt das Wort aus schmutzigen Geschirren.

Der helle Glockenschall darf euch nicht kirren,

Die Glocken sind des Teufels Felddrommeten.«


So klang die Rede aus des Greises Munde,

Da stürzt der Mönch gewaltig in die Runde,

Er streckt sein Kruzifix empor und ruft:

»Der führte mich in eure finstre Schluft,

Wenn ihr ihn ehrt, so folget seinem Licht!«[809]

Und jeder lauscht dem Mönche, wie er spricht:


»Ging ein Mann allein zur Morgenzeit

Tief und tiefer in den Wald; die Glocken

Hört er fernher in die Kirche locken,

Doch er flieht zur tiefsten Dunkelheit.


Sonntag wars, zur Kirche rief das Erz,

Doch er schlug, die Glocken nicht zu hören,

Mit dem Stabe mächtig an die Föhren,

Laute Flüche donnerte sein Herz.


Fromm war sonst des Mannes Tat und Spruch,

Doch die Priester haßt' er, weil in Sünden

Sie dem Volk das Wort des Herrn verkünden,

Ihrer Predigt sandt er seinen Fluch.


Als er umirrt in der Waldesnacht,

Als im fernen Dickicht seinen Ohren

Ging der letzte Glockenlaut verloren,

Überfällt ihn heißer Durst mit Macht.

Brennend, glühend ist des Durstes Qual,

Im bekannten Forst nach allen Winden

Ist kein Bächlein nirgendwo zu finden;

Horch! da rauscht es doch mit einem Mal!


›Wunderbar!‹ – so ruft er – ›ists ein Quell?‹

Und er folgt mit sehnsuchtsvollem Lauschen

Eilig nach dem wonniglichen Rauschen;

Sieh! da springt ein Bächlein silberhell.


Seine Seele spricht ein Dankgebet,

Schmachtend ist er an den Quell gesunken,

Und er hat sich freudig satt getrunken,

Als vor ihm ein schöner Jüngling steht.


Himmlisch ist des Jünglings Angesicht,

Und er winkt dem Mann, ihm nachzuschreiten,[810]

Von woher die Wellen niedergleiten;

Endlich hält der Jüngling still und spricht:

›Sieh ein Aas hier liegen in der Flut;

Durch das Aas kam dir der Quell gegangen,

Doch du hast ihn freudenvoll empfangen,

Und er kühlte deines Herzens Glut.‹


Fließt für uns des Heilands Wort zu Tal,

Geht ihm durch die Sünder und die Toren

Doch die Gottesfrische nicht verloren

Und die Kühlung heißer Erdenqual.

Staunend blickt der Mann zur Flut hinein,

Dann empor, den Jüngling zu erkunden,

Doch schon ist der Engel ihm verschwunden,

Samt dem Aas und Bächlein hell und rein!«


Betroffen läßt der Greis die Bibel sinken:

»Weh uns! die letzte Zuflucht ist verraten;

Doch wisse, Mönch, und sag es den Prälaten:

Wir wollen oberhalb des Aases trinken!

Gerad ins Herz will unser Gott uns fließen,

Nicht durch den Mund des Lasters sich ergießen.«


Da murmelts in der Menge: »Bindet ihn!

Er liefert uns zum Tod, erschlagt den Pfaffen!«

Gewaltig ruft der Alte: »Laßt ihn ziehn,

Befleckt euch nicht, wir haben andre Waffen!«


Dominikus fanatisch niederkniet,

Zerreißt, die Brust entblößend, sein Habit

Und ruft: »Gebt mir den Tod! o laßt mich sterben!

Hier einsam, nur im Angesicht der Feinde,

Und unbejubelt von des Herrn Gemeinde,

Will ich den höchsten Kranz erwerben!«

Er rufts, und seine Augen schießen Blitze

Und suchen rollend eines Dolches Spitze.[811]

Umsonst! sein heißes Blut bleibt unvergossen,

Nur in den Winkel wird der Mönch gestoßen;

Und wieder schließt der Kreis sich um den Alten,

Und ruhig wird die Feier abgehalten.


Zum Greise jetzo tritt der ›ältre Sohn‹ sich neigend,

Darauf der ›jüngre Sohn‹, gebückt, ehrfürchtig schweigend.


›Der Helfer‹ naht zuletzt und führt an seiner Hand

Zur Weih den Schüler ein, der trägt ein schwarz Gewand.


Dem hält der Greis aufs Haupt das Neue Testament

Und mahnt ihn feierlich: »Sprich, was dein Herz bekennt!1

Wer ist der Grund der Welt? kannst du die Frage lösen?«

»Die Geister sind von Gott; die Körper sind vom Bösen.«

»Glaubst du ein Auferstehn?« – »Wenns Holz geschlagen worden,

So wie es fällt, so liegts, nach Süden oder Norden.«


»Was ist der Seelen Los?« – »Sie sind von Gott gefallen

Und müssen ihren Weg durch Not und Sehnsucht wallen,[812]

Bis sie der Heiland läßt die Luft der Heimat trinken

Und, selbst vergessend sich, in Gottes Herz versinken.«


»Bekenne noch, eh wir die Weih an dir vollenden,

Wie du die Kirche siehst und ihre Gnadenspenden?«


»Der Kirche sei der Geist entgegen und zuwider,

Sie läutet ihm zu Grab und singt ihm Sterbelieder.


Der Kirche Abendmahl ist nur gebacken Brot,

Die letzte Ölung kann nichts ändern an dem Tod.


Das Sakrament der Eh' ist meist nur Buhlerei,

Wenn sie auch vor der Welt hingeht der Schande frei;


Denn selten einmal blüht die Liebe den Genossen,

Die Himmelsblüte noch, wenn schon die Früchte sprossen.


Die Taufe netzt das Kind, – den Pflanzenkeim der Regen, –

Sie mahnt uns, der Natur das Kind ans Herz zu legen.


Ich schwöre keinen Eid, denn nichtig sind die Schwüre,

Im Zeitenwetter bald zermorschen solche Schnüre;


Verachte jeglich Bild, zumeist das Kreuzeszeichen,

Das uns nicht frommt, noch Gott zur Ehre kann gereichen.


Gott gleicht nicht einem Knecht, der, kundig nicht der Schrift,

Statt seines Namens malt ein Kreuzlein mit dem Stift. –[813]


Nach langem Schlafe regt sich forschend der Gedanke,

Doch trübt ihn noch und hemmt die Zeit und ihre Schranke.


Mag, was wir meinen, auch sich spalten noch und trennen,

Die freie Forschung ists, wozu wir uns bekennen.


Wir lassen uns den Geist nicht hemmen mehr und knechten;

Es gilt, das höchste Recht auf Erden zu verfechten.


Auf! wecken wir vom Tod die heilige Geschichte,

Die erst lebendig wird im Geist und seinem Lichte;


Mit dieser Leuchte soll der Mensch den wunderbaren

Und heilig tiefen Schacht, des Heilands Herz, befahren.


Der volle Christus ist erschienen nicht auf Erden,

Sein göttlich Menschenbild muß noch vollendet werden.


Einst wird das Heil der Welt Erlösung sich vollbringen,

Wenn Gott und Mensch im Geist lebendig sich durchdringen.


Mag auch das Jesusbild, der Widerschein den Sinnen,

Im regen Strom der Zeit verzittern und zerrinnen;


Wenn alle Zeugnisse von Jesus auch zerschellten,

Der Gottmensch ist der Kern, das Herzlicht aller Welten.[814]


So nehmet mich nun auf in euren Bund, ihr Freien!

Ich lasse mich von euch, sei's auch zum Tode, weihen!« –


So sprach der Neophyt; der Greis in Freuden stand

Und gab die › Tröstung‹ ihm mit aufgehobner Hand;


Und siebenmal er spricht mit feierlichem Sinn

Vom Evangelium Johannis den Beginn;


Und siebenmal der Greis das Vaterunser spricht

Und hauchet ihm dazu den Odem ins Gesicht.


Indes Dominikus im Winkel qualvoll steht

Und auf die Schar von Gott den Blitz herunterfleht.


Wer nahm hier Ketzerweih? wer sprach der Kirche Hohn?

Es ist ein Troubadour, der Mönch von Montaudon.


Die Harfe jetzo nimmt, die Feier zu beschließen,

Der Sänger, läßt sein Herz in Reimen überfließen:


»Um euch das Pfaffentum, das Höllending zu schildern,

Muß ich nach Indien ziehn, nach grausen Schreckensbildern.


Mit schwarzem Angesicht, mit Augen aufgerissen,

Die selbst sich leuchten wild in öden Finsternissen,


Bewaffnet mit dem Schwert, Dreizack und Blutgeschirre,

Die Schlangen um den Leib, ein wallendes Gewirre,


So fliegt die Göttin hin mit tödlicher Gebärde,

Die Amadurga heißt, auf einem Höllenpferde.[815]


Die große Göttin ists der mörderischen Zeiten,

Seht ihr sie zornig dort durchs Erdenleben reiten?


Wohin der Göttin Roß mit seinen Hufen haut,

Dort bricht der Boden ein, worauf der Mensch gebaut;


Wohin den Sturmeshauch des Rosses Nüstern wehn,

Da muß die grüne Saat der Hoffnungen vergehn.


Die Menschen sterben rings, die Sünder und die Reinen,

Mit Greisen Kinder früh, noch eh sie konnten weinen;


Eh sie den Tag begrüßt mit freudigen Gesängen,

Eh sie der Sonne zu die Gangesfluten sprengen.


Die Göttin reitet fort; vom scharfen Ritt geschüttelt,

Ward eine Schlange los aus ihrem Gurt gerüttelt;


Die Schlange fiel zur Erd und kriecht durch weite Strecken,

Als Pest mit leisem Biß zu töten und zu schrecken.


Und eine zweite sank, gelöst vom Gürtelbund,

Die richtet dort ein Volk als Hungersnot zugrund;


Und eine dritte ward geschleudert, zischt und fährt

Durch Menschenheere fort, die sie als Krieg verzehrt.


Die vierte aber fiel, die allerschlimmste Schlange,

Und zog vom Morgenland nach Sonnenuntergange;


Sie heißet Pfaffentrug und sticht auf ihrer Bahn

Der freien Lust an Gott ins Herz den giftgen Zahn.«[816]


Dominikus enteilet, wutzerrissen,

Und sinkt zur Erd in Waldesfinsternissen.

Er klagt dem dunkeln Wald sein Leid mit Macht

Und klagt nicht irr, sein Leid gehört der Nacht.


Sein Herz erfüllt ein namenloses Grollen,

Und heiße Tränen auf den Boden rollen.

Die Tropfen sind dem Unheil nicht verloren,

Ein schwarzes Untier ward daraus geboren.


Aus seinen Zornestränen ward ein Molch,

Wogegen hold wie Engel Gift und Dolch,

Wogegen Liebesketten alle Schlangen,

Die aus dem Gurt der Amadurga sprangen.

Gottlob! es lebt nicht mehr, es ward zunichte;

Doch dem Entsetzen zeigt noch die Geschichte

Sein Bild, des Untiers Bau, Gestalt und Glieder;

Die Menschheit schlägt davor die Augen nieder;

Vergessen möchte sie den Schreckenston,

Des Molches Namen: Inquisition.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 808-817.
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