Dritte Szene

[65] Die Schule. Wenzeslaus, Läuffer, an einem Tisch sitzend. Der Major, der Geheime Rat und Graf Wermuth treten herein mit Bedienten.


WENZESLAUS läßt die Brille fallen. Wer da?

MAJOR mit gezogenem Pistol. Daß dich das Wetter! da sitzt der Has im Kohl. Schießt und trifft Läuffern in Arm, der vom Stuhl fällt.

GEHEIMER RAT der vergeblich versucht hat ihn zurückzuhalten. Bruder – Stößt ihn unwillig. So hab's denn darnach, Tollhäusler!

MAJOR. Was? ist er tot? Schlägt sich vors Gesicht. Was hab ich getan? Kann Er mir keine Nachricht mehr von meiner Tochter geben?

WENZESLAUS. Ihr Herren! Ist das Jüngste Gericht nahe, oder sonst etwas? Was ist das? Zieht an seiner Schelle. Ich will Euch lehren, einen ehrlichen Mann in seinem Hause überfallen.[65]

LÄUFFER. Ich beschwör Euch: schellt nicht! – Es ist der Major; ich hab's an seiner Tochter verdient.

GEHEIMER RAT. Ist kein Chirurgus im Dorf, ehrlicher Schulmeister! Er ist nur am Arm verwundet, ich will ihn kurieren lassen.

WENZESLAUS. Ei was kurieren lassen! Straßenräuber! schießt man Leute übern Haufen, weil man so viel hat, daß man sie kurieren lassen kann? Er ist mein Kollaborator; er ist eben ein Jahr in meinem Hause: ein stiller, friedfertiger, fleißiger Mensch, und sein Tage hat man nichts von ihm gehört, und Ihr kommt und erschießt mir meinen Kollaborator in meinem eignen Hause! – Das soll gerochen werden, oder ich will nicht selig sterben. Seht Ihr das!

GEHEIMER RAT bemüht Läuffern zu verbinden. Wozu das Geschwätz, lieber Mann? Es tut uns leid genug – Aber die Wunde könnte sich verbluten, schafft uns nur einen Chirurgus.

WENZESLAUS. Ei was! Wenn Ihr Wunden macht, so mögt Ihr sie auch heilen, Straßenräuber! Ich muß doch nur zum Gevatter Schöpsen gehen.


Geht ab.


MAJOR zu Läuffern. Wo ist meine Tochter?

LÄUFFER. Ich weiß es nicht.

MAJOR. Du weißt nicht?


Zieht noch eine Pistol hervor.


GEHEIMER RAT entreißt sie ihm und schießt sie aus dem Fenster ab. Sollen wir dich mit Ketten binden lassen, du –

LÄUFFER. Ich habe sie nicht gesehen, seit ich aus Ihrem Hause geflüchtet bin; das bezeug ich vor Gott, vor dessen Gericht ich vielleicht bald erscheinen werde.

MAJOR. Also ist sie nicht mit dir gelaufen?

LÄUFFER. Nein.

MAJOR. Nun denn; so wieder eine Ladung Pulver umsonst verschossen! Ich wollt, sie wäre dir durch den Kopf gefahren, da du kein gescheutes Wort zu reden weißt Lumpenhund! Laßt ihn liegen und kommt bis ans Ende der Welt. Ich muß meine Tochter wieder haben, und[66] wenn nicht in diesem Leben, doch in jener Welt, und da soll mein hochweiser Bruder und mein hochweiseres Weib mich wahrhaftig nicht von abhalten.


Läuft fort.


GEHEIMER RAT. Ich darf ihn nicht aus den Augen lassen. Wirft Läuffern einen Beutel zu. Lassen Sie sich davon kurieren, und bedenken Sie, daß Sie meinen Bruder weit gefährlicher verwundet haben als er Sie. Es ist ein Bankozettel drin, geben Sie Acht drauf und machen ihn sich zu Nutz so gut Sie können.


Gehn alle ab.

Wenzeslaus kömmt mit dem Barbier Schöpsen und einigen Bauerkerlen.


WENZESLAUS. Wo ist das Otterngezüchte? Redet!

LÄUFFER. Ich bitt Euch, seid ruhig. Ich habe weit weniger bekommen, als meine Taten wert waren. Meister Schöpsen, ist meine Wunde gefährlich?


Schöpsen besieht sie.


WENZESLAUS. Was denn? Wo sind sie? Das leid ich nicht; nein, das leid ich nicht, und sollt es mich Schul und Amt und Haar und Bart kosten. Ich will sie zu Morsch schlagen, die Hunde – Stellen Sie sich vor, Herr Gevatter; wo ist das in aller Welt in iure naturae und in iure civili und im iure canonico und im iure gentium und wo Sie wollen, wo ist das erhört, daß man einem ehrlichen Mann in sein Haus fällt und in eine Schule dazu; an heiliger Stätte. – Gefährlich; nicht wahr? Haben Sie sondiert? Ist's?

SCHÖPSEN. Es ließe sich viel drüber sagen – nun doch wir wollen sehen – am Ende wollen wir schon sehen.

WENZESLAUS. Ja Herr, he he, in fine videbitur cuius toni; das heißt, wenn er wird tot sein, oder wenn er völlig gesund sein wird, da wollen Sie uns erst sagen, ob die Wunde gefährlich war oder nicht: das ist aber nicht medizinisch gesprochen; verzeih Er mir. Ein tüchtiger Arzt muß das Dings vorher wissen, sonst sag ich ihm ins Gesicht: er hat seine Pathologie oder Chirurgie nur so halbwege studiert und ist mehr in die Bordells[67] gangen als in die Kollegia: denn in amore omnia insunt vitia, und wenn ich einen Ignoranten sehe, er mag sein aus was für einer Fakultät er wolle, so sag ich immer: er ist ein Jungfernknecht gewesen; ein Hurenhengst; das laß ich mir nicht ausreden.

SCHÖPSEN nachdem er die Wunde noch einmal besichtigt. Ja die Wunde ist, nachdem man sie nimmt – Wir wollen sehen, wir wollen sehen.

LÄUFFER. Hier, Herr Schulmeister! hat mir des Majors Bruder einen Beutel gelassen, der ganz schwer von Dukaten ist und obenein ist ein Bankozettel drin – Da sind wir auf viel Jahre geholfen.

WENZESLAUS hebt den Beutel. Nun das ist etwas – Aber Hausgewalt bleibt doch Hausgewalt und Kirchenraub Kirchenraub – Ich will ihm einen Brief schreiben, dem Herrn Major, den er nicht ins Fenster stecken soll.

SCHÖPSEN der sich die Weil über vergessen und eifrig nach dem Beutel gesehen, fällt wieder über die Wunde her. Sie wird sich endlich schon kurieren lassen, aber sehr schwer, hoff ich, sehr schwer –

WENZESLAUS. Das hoff ich nicht, Herr Gevatter Schöpsen; das fürcht ich, das fürcht ich – aber ich will Ihm nur zum voraus sagen, daß wenn Er die Wunde langsam kuriert, so kriegt Er auch langsame Bezahlung; wenn Er ihn aber in zwei Tagen wieder auf frischen Fuß stellt, so soll Er auch frisch bezahlt werden; darnach kann Er sich richten.

SCHÖPSEN. Wir wollen sehen.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 65-68.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung
Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung
Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung: Eine Komödie (Suhrkamp BasisBibliothek)

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon