Letzte Szene

[100] Der Major, ein Kind auf dem Arm. Der alte Pätus.


MAJOR. Kommen Sie, Herr Pätus. Sie haben mir das Leben wiedergegeben. Das war der einzige Wurm, der mir noch dran nagte. Ich muß Sie meinem Bruder präsentieren, und Ihre alte blinde Großmutter will ich in Gold einfassen lassen.

DER ALTE PÄTUS. O meine Mutter hat mich durch ihren unvermuteten Besuch weit glücklicher gemacht als Sie. Sie haben nur einen Enkel wiedererhalten, der Sie an traurige Geschichten erinnert; ich aber eine Mutter, die mich an die angenehmsten Szenen meines Lebens erinnert, und deren mütterliche Zärtlichkeit ich leider[100] noch durch nichts habe erwidern können als Haß und Undankbarkeit. Ich habe sie aus dem Hause gestoßen, nachdem sie mir den ganzen Nachlaß meines Vaters und ihr Vermögen mit übergeben hatte; ich habe ärger gegen sie gehandelt als ein Tiger – Welche Gnade von Gott ist es, daß sie noch lebt, daß sie mir noch verzeihen kann, die großmütige Heilige! daß es noch in meine Gewalt gestellt ist, meine verfluchte Verbrechen wieder gut zu machen.

MAJOR. Bruder Berg! wo bist du? He! Geheimer Rat kömmt. Hier ist mein Kind, mein Großsohn. Wo ist Gustchen? Mein allerliebstes Großsöhnchen! Schmeichelt ihm. meine allerliebste närrische Puppe!

GEHEIMER RAT. Das ist vortrefflich! – und Sie, Herr Pätus?

MAJOR. Sie Herr Pätus hat's mir verschafft – – Seine Mutter war das alte blinde Weib, die Bettlerin, von der uns Gustchen so viel erzählt hat.

DER ALTE PÄTUS. Und durch mich Bettlerin – – O die Scham bindt mir die Zunge. Aber ich will's der ganzen Welt erzählen, was ich für ein Ungeheuer war –

GEHEIMER RAT. Weißt du was Neues, Major? Es finden sich Freier für deine Tochter – aber dring nicht in mich, dir den Namen zu sagen.

MAJOR. Freier für meine Tochter! – Wirft das Kind ins Kanapee. Wo ist sie?

GEHEIMER RAT. Sacht! ihr Freier ist bei ihr – Willst du deine Einwilligung geben?

MAJOR. Ist's ein Mensch von gutem Hause? Ist er von Adel?

GEHEIMER RAT. Ich zweifle.

MAJOR. Doch keiner zu weit unter ihrem Stande? O sie sollte die erste Partie im Königreich werden. Das ist ein vermaledeiter Gedanke! wenn ich doch den erst fort hätte; er wird mich noch ins Irrhaus bringen.

GEHEIMER RAT öffnet die Kammer; auf seinen Wink tritt Fritz mit Gustchen heraus.[101]

MAJOR fällt ihm um den Hals. Fritz! Zum Geheimen Rat. Ist's dein Fritz? Willst du meine Tochter heiraten? – Gott segne dich. Weißt du noch nichts, oder weißt du alles? Siehst du, wie mein Haar grau geworden ist vor der Zeit! Führt ihn ans Kanapee. Siehst du, dort ist das Kind. Bist ein Philosoph? Kannst alles vergessen? Ist Gustchen dir noch schön genug? O sie hat bereut. Jung, ich schwöre dir, sie hat bereut wie keine Nonne und kein Heiliger. Aber was ist zu machen? Sind doch die Engel aus dem Himmel gefallen – Aber Gustchen ist wieder aufgestanden.

FRITZ. Lassen Sie mich zum Wort kommen.

MAJOR drückt ihn immer an die Brust. Nein Junge – Ich möchte dich tot drücken – Daß du so großmütig bist, daß du so edel denkst – daß du – – mein Junge bist –

FRITZ. In Gustchens Armen beneid ich keinen König.

MAJOR. So recht; das ist recht. – Sie wird dir schon gestanden haben; sie wird dir alles erzählt haben –

FRITZ. Dieser Fehltritt macht sie mir nur noch teurer – macht ihr Herz nur noch englischer – Sie darf nur in den Spiegel sehn, um überzeugt zu sein, daß sie mein ganzes Glück machen werde, und doch zittert sie immer vor dem, wie sie sagt, ihr unerträglichen Gedanken: sie werde mich unglücklich machen. O was hab ich von einer solchen Frau anders zu gewarten als einen Himmel?

MAJOR. Ja wohl einen Himmel; wenn's wahr ist, daß die Gerechten nicht allein hineinkommen, sondern auch die Sünder, die Buße tun. Meine Tochter hat Buße getan, und ich hab für meine Torheiten und daß ich einem Bruder nicht folgen wollte, der das Ding besser verstund, auch Buße getan; ihr zur Gesellschaft: und darum macht mich der liebe Gott auch ihr zur Gesellschaft mit glücklich.[102]

GEHEIMER RAT ruft zur Kammer hinein. Herr Pätus, kommen Sie doch hervor. Ihr Vater ist hier.

DER ALTE PÄTUS. Was hör ich – Mein Sohn?

PÄTUS fällt ihm um den Hals. Ihr unglücklicher verstoßener Sohn. Aber Gott hat sich meiner als eines armen Waisen angenommen. Hier, Papa, ist das Geld, das Sie zu meiner Erziehung in der Fremde angewandt; hier ist's zurück und mein Dank dazu: es hat doppelte Zinsen getragen, das Kapital hat sich vermehrt und Ihr Sohn ist ein rechtschaffener Kerl worden.

DER ALTE PÄTUS. Muß denn alles heute wetteifern, mich durch Großmut zu beschämen. Mein Sohn, erkenne deinen Vater wieder, der eine Weile seine menschliche Natur ausgezogen und in ein wildes Tier ausgeartet war. Es ging deiner Großmutter wie dir: sie ist auch wiedergekommen und hat mir verziehen und hat mich wieder zum Sohn gemacht, so wie du mich wieder zum Vater machst. Nimm mein ganzes Vermögen, Gustav! schalte damit nach deinem Gefallen, nur laß mich die Undankbarkeit nicht entgelten, die ich bei einem ähnlichen Geschenk gegen deine Großmutter äußerte.

PÄTUS. Erlauben Sie mir, das tugendhafteste süßeste Mädchen glücklich damit zu machen –

DER ALTE PÄTUS. Was denn? Du auch verliebt? Mit Freuden erlaub ich dir alles. Ich bin alt und möchte vor meinem Tode gern Enkel sehen, denen ich die Treue beweisen könnte, die eure Großmutter für euch bewiesen hat.

FRITZ umarmt das Kind auf dem Kanapee, küßt's und trägt's zu Gustchen. Dies Kind ist jetzt auch das meinige; ein trauriges Pfand der Schwachheit deines Geschlechts und der Torheiten des unsrigen: am meisten aber der vorteilhaften Erziehung junger Frauenzimmer durch Hofmeister.

MAJOR. Ja mein lieber Sohn, wie sollen sie denn erzogen werden?[103]

GEHEIMER RAT. Gibt's für sie keine Anstalten, keine Nähschulen, keine Klöster, keine Erziehungshäuser? – – Doch davon wollen wir ein andermal sprechen.

FRITZ küßt's abermal. Und dennoch mir unendlich schätzbar, weil's das Bild seiner Mutter trägt. Wenigstens, mein süßer Junge! werd ich dich nie durch Hofmeister erziehen lassen.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 100-104.
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