Eilfte Szene

[97] Zu Insterburg. Geheimer Rat. Fritz von Berg. Pätus. Gustchen. Jungfer Rehaar. Gustchen und Jungfer Rehaar verstecken sich bei der Ankunft der erstern in die Kammer. Geheimer Rat und Fritz laufen sich entgegen.


FRITZ fällt vor ihm auf die Knie. Mein Vater!

GEHEIMER RAT hebt ihn auf und umarmt ihn. Mein Sohn![97]

FRITZ. Haben Sie mir vergeben?

GEHEIMER RAT. Mein Sohn!

FRITZ. Ich bin nicht wert, daß ich Ihr Sohn heiße.

GEHEIMER RAT. Setz dich; denk mir nicht mehr dran. Aber wie hast du dich in Leipzig erhalten? Wieder Schulden auf meine Rechnung gemacht? Nicht? und wie bist du fortkommen?

FRITZ. Dieser großmütige Junge hat alles für mich bezahlt.

GEHEIMER RAT. Wie denn?

PÄTUS. Dieser noch großmütigere – O ich kann nicht reden.

GEHEIMER RAT. Setzt euch Kinder; sprecht deutlicher. Hat Ihr Vater sich mit Ihnen ausgesöhnt, Herr Pätus?

PÄTUS. Keine Zeile von ihm gesehen.

GEHEIMER RAT. Und wie habt ihr's denn beide gemacht?

PÄTUS. In der Lotterie gewonnen, eine Kleinigkeit – aber es kam uns zu statten, da wir herreisen wollten.

GEHEIMER RAT. Ich seh, ihr wilde Bursche denkt besser als eure Väter. Was hast du wohl von mir gedacht, Fritz? Aber man hat dich auch bei mir verleumdet.

PÄTUS. Seiffenblase gewiß?

GEHEIMER RAT. Ich mag ihn nicht nennen; das gäbe Katzbalgereien, die hier am unrechten Ort wären.

PÄTUS. Seiffenblase! Ich laß mich hängen.

GEHEIMER RAT. Aber was führt dich denn nach Hause zurück, eben jetzt da –?

FRITZ. Fahren Sie fort – O das eben jetzt, mein Vater! das eben jetzt ist's, was ich wissen wollte.

GEHEIMER RAT. Was denn? was denn?

FRITZ. Ist Gustchen tot?

GEHEIMER RAT. Holla, der Liebhaber! – Was veranlaßt dich, so zu fragen?

FRITZ. Ein Brief von Seiffenblase.

GEHEIMER RAT. Er hat dir geschrieben: sie wäre tot?

FRITZ. Und entehrt dazu.[98]

PÄTUS. Es ist ein verleumderscher Schurke!

GEHEIMER RAT. Kennst du eine Jungfer Rehaar in Leipzig?

FRITZ. O ja, ihr Vater war mein Lautenmeister.

GEHEIMER RAT. Die hat er entehren wollen; ich hab sie von seinen Nachstellungen errettet: das hat ihn uns feind gemacht.

PÄTUS steht auf. Jungfer Rehaar – Der Teufel soll ihn holen.

GEHEIMER RAT. Wo wollen Sie hin?

PÄTUS. Ist er in Insterburg?

GEHEIMER RAT. Nein doch – Nehmen Sie sich der Prinzessinnen nicht zu eifrig an, Herr Ritter von der runden Tafel! Oder haben Sie Jungfer Rehaar auch gekannt?

PÄTUS. Ich? Nein, ich habe sie nicht gekannt – Ja, ich habe sie gekannt.

GEHEIMER RAT. Ich merke – – Wollen Sie nicht auf einen Augenblick in die Kammer spazieren?


Führt ihn an die Tür.


PÄTUS macht auf und fährt zurück, sich mit beiden Händen an den Kopf greifend. Jungfer Rehaar – Zu Ihren Füßen – Hinter der Szene. Bin ich so glücklich? oder ist's nur ein Traum? ein Rausch? – eine Bezauberung? – –

GEHEIMER RAT. Lassen wir ihn! – Kehrt zu Fritz. Und du denkst noch an Gustchen?

FRITZ. Sie haben mir das furchtbare Rätsel noch nicht aufgelöst. Hat Seiffenblase gelogen?

GEHEIMER RAT. Ich denke, wir reden hernach davon: wir wollen uns die Freud itzt nicht verderben.

FRITZ kniend. O mein Vater, wenn Sie noch Zärtlichkeit für mich haben, lassen Sie mich nicht zwischen Himmel und Erde, zwischen Hoffnung und Verzweiflung schweben. Darum bin ich gereist; ich konnte die qualvolle Ungewißheit nicht länger aushalten. Lebt Gustchen? Ist's wahr, daß sie entehrt ist?

GEHEIMER RAT. Es ist leider nur eine zu traurige Wahrheit.[99]

FRITZ. Und hat sich in einen Teich gestürzt?

GEHEIMER RAT. Und ihr Vater hat sich ihr nachgestürzt.

FRITZ. So falle denn Henkers Beil – Ich bin der Unglücklichste unter den Menschen!

GEHEIMER RAT. Steh auf! Du bist unschuldig dran.

FRITZ. Nie will ich aufstehn. Schlägt sich an die Brust. Schuldig war ich; einzig und allein schuldig. Gustchen, seliger Geist, verzeihe mir!

GEHEIMER RAT. Und was hast du dir vorzuwerfen?

FRITZ. Ich habe geschworen, falsch geschworen – Gustchen! wär es erlaubt, dir nachzuspringen! Steht hastig auf. Wo ist der Teich?

GEHEIMER RAT. Hier!


Führt ihn in die Kammer.


FRITZ hinter der Szene mit lautem Geschrei. Gustchen! – Seh ich ein Schattenbild? – Himmel! Himmel welche Freude! – Laß mich sterben! laß mich an deinem Halse sterben.

GEHEIMER RAT wischt sich die Augen. Eine zärtliche Gruppe! – Wenn doch der Major hier wäre! Geht hinein.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 97-100.
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