Erste Szene


[321] Mezzotintos Zimmer in Don Prados Hause, mit einem Alkov.

Mezzotinto und Strephon hochzeitlich geputzt, in der Morgenstunde nach Hause kommend.


MEZZOTINTO. Ihr seid ja so still, so in Euch gekehrt? Auf der ganzen Hochzeit seid Ihr ja fast stumm gewesen. Was ist Euch Strephon, was habt Ihr?

STREPHON. Nichts.

MEZZOTINTO. Ihr habt Prados ganzes Herz, das ist nicht wenig. Und könnt zuversichtlich einmal auf eine Beförderung[321] bei Hofe rechnen, der Mann hat mehr Einfluß, als Ihr wohl glaubt. Sich den Rock ausziehend. Nun zieht Euch aus, schwatzen wir noch mit einander, ich kann doch so bald nicht einschlafen.

STREPHON. Legt Euch schlafen, Mezzotinto, ich werde in Kleidern bleiben.

MEZZOTINTO. Was? seht Ihr mich denn nicht an, wenn Ihr mit mir sprecht? Der Herr ist grausam abwesend, Scherzend. er wird doch wohl nicht gar noch Grillen in Ansehung der Donna Seraphina? he he he –

STREPHON. Ich will nur noch einen Brief schreiben, Mezzotinto, und da werdt Ihr mir ein wahres Vergnügen machen, wenn Ihr Euch zu Bette legt, daß ich ungestört bin.

MEZZOTINTO der fortgefahren sich auszukleiden, tritt hinter den Alkov. Ihr seid ja doch sonst immer ein Philosoph gewesen –

STREPHON. Seid ohne Sorgen!

MEZZOTINTO. Da ist Dinte und Papier in meinem Schreibepult – Gute Nacht denn.


Hinter der Szene rufend.


STREPHON. Gute Nacht.

STREPHON allein. So ist es denn bis dahin gekommen. In diesem Augenblick umfaßt er sie, genießt all der unaussprechlichen Reize, die mein waren, die ich aus – Philosophie in Besitz zu nehmen versäumte. Und ich mußte bis zu diesem Augenblick leben und Schritt vor Schritt ihn zu seiner grausamen Eroberung begleiten. Gut, so muß ich auch Zeuge von dem Letzten sein, um seinen Triumph und meine Verzweiflung vollkommen zu machen. Steht auf und geht zu Mezzotintens Kleiderschrank, wo er aus einer Schublade den Pulverbeutel hervorlangt. Ich will ihm die Hochzeit einschießen. Er nimmt eine Pistole von der Wand und lädt. Philosoph – welch ein Schimpf in meinen letzten Augenblicken! Ein Mensch, der allen Rechten der Menschheit entsagt, um sich bei andern in ein törichtes Ansehen zu setzen. So einer war ich freilich, Mezzotinto, wie jeder[322] Mensch gern das wird, wofür andere ihn halten. Seraphine hat meine Eitelkeit zuerst überwunden und mich überzeugt, daß ein bloßer Beobachter nur ein halber Mensch sei. Ihr, ihrem Glück, ihrer Ehre soll er aufgeopfert werden, dieser halbe Mensch, dessen Tod seine erste schöne Handlung ist. Er setzt die Pistole an die Stirn. Ha, diese Hand soll nicht zittern, dieser Fuß nicht wanken, keinen unzufriednen Laut will ich von mir geben, um ihre Hochzeitsfreude festlich zu machen. – Vorher aber muß ich sie noch einmal sehen, in den Armen ihres Buhlers, vielleicht vom lüsternen Monde beguckt. Ich will die Miene sehen, mit der sie eingeschlafen ist, ob in derselben keine Spur von Mitleid mit ihrem Strephon zu entdecken ist, damit ich getröstet sterben kann. Wenn er sollte zugeriegelt haben – so wird immer ein Fenster zu ersteigen sein. Ich komme nicht, dich in deinem Glück zu stören, liebenswürdiger, gefährlicher Prado, ich komme, dir die letzte Hindernis desselben auf ewig aus dem Wege zu räumen. Dieser Tod ist des wahren Philosophen würdig, dieser Tod ist: die erste gute Handlung meines Lebens. Geht mit wankenden Schritten heraus.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 321-323.
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