Zweite Szene

[198] Das Kaffeehaus.

Eisenhardt und Pirzel im Vordergrunde, auf einem Sofa und trinken Kaffee. Im Hintergrunde eine Gruppe Offiziers schwatzend und lachend.


EISENHARDT zu Pirzel. Es ist lächerlich wie die Leute alle um den armen Stolzius herschwärmen, wie Fliegen um einen Honigkuchen. Der zupft ihn da, der stößt ihn hier, der geht mit ihm spazieren, der nimmt ihn ins Cabriolet, der spielt Billard mit ihm, wie Jagdhunde die Witterung[198] haben. Und wie augenscheinlich sein Tuchhandel zugenommen hat, seitdem man weiß daß er die schöne Jungfer heuraten wird, die neulich hier durchgegangen.

PIRZEL faßt ihn an die Hand, mit viel Energie. Woher kommt's Herr Pfarrer? Daß die Leute nicht denken. Steht auf in einer sehr malerischen Stellung, halb nach der Gruppe zugekehrt. Es ist ein vollkommenstes Wesen. Dieses vollkommenste Wesen kann ich entweder beleidigen oder nicht beleidigen.

EINER AUS DER GESELLSCHAFT kehrt sich um. Nun fängt er schon wieder an?

PIRZEL sehr eifrig. Kann ich es beleidigen Kehrt sich ganz gegen die Gesellschaft. so würde es auf hören das Vollkommenste zu sein.

EIN ANDERER AUS DER GESELLSCHAFT. Ja, ja Pirzel, du hast recht, du hast ganz recht.

PIRZEL kehrt sich geschwind zum Feldprediger. Kann ich es nicht beleidigen – Faßt ihn an die Hand und bleibt stockstill in tiefen Gedanken.

ZWEI, DREI AUS DEM HAUFEN. Pirzel zum Teufel! redst du mit uns?

PIRZEL kehrt sich sehr ernsthaft zu ihnen. Meine lieben Kameraden, ihr seid verehrungswürdige Geschöpfe Gottes, also kann ich euch nicht anders als respektieren und hochachten, ich bin auch ein Geschöpf Gottes, also müßt ihr mich gleichfalls in Ehren halten.

EINER. Das wollten wir dir auch raten.

PIRZEL kehrt sich wieder zum Pfarrer. Nun –

EISENHARDT. Herr Hauptmann, ich bin in allen Stücken Ihrer Meinung. Nur war die Frage, wie es den Leuten in den Kopf gebracht werden könnte, vom armen Stolzius abzulassen und nicht Eifersucht und Argwohn in zwei Herzen zu werfen, die vielleicht auf ewig einander glücklich gemacht haben würden.

PIRZEL der sich mittlerweile gesetzt hatte, steht wieder sehr hastig auf. Wie ich Ihnen die Ehre und das Vergnügen[199] hatte zu sagen Herr Pfarrer! das macht weil die Leute nicht denken. Denken, den ken, was der Mensch ist, das ist ja meine Rede. Faßt ihn an die Hand. Sehen Sie, das ist Ihre Hand, aber was ist das, Haut, Knochen, Erde, Klopft ihm auf den Puls. da, da steckt es, das ist nur die Scheide, da steckt der Degen drein, im Blut, im Blut – Sieht sich plötzlich herum, weil Lärm wird.


Haudy tritt herein mit großem Geschrei.


HAUDY. Leute, nun hab ich ihn, es ist der frömmste Herrgott von der Welt. Brüllt entsetzlich. Madam Roux! gleich lassen Sie Gläser schwenken und machen uns guten Punsch zurecht. Er wird gleich hier sein, ich bitte euch, geht mir artig mit dem Menschen um.

EISENHARDT bückt sich vor. Wer Herr Major, wenn's erlaubt ist –

HAUDY ohne ihn anzusehen. Nichts, ein guter Freund von mir.


Die ganze Gesellschaft drängt sich um Haudy.


EINER. Hast du ihn ausgefragt, wird die Hochzeit bald sein?

HAUDY. Leute, ihr müßt mich schaffen lassen, sonst verderbt ihr mir den ganzen Handel. Er hat ein Zutrauen zu mir sag ich euch, wie zum Propheten Daniel, und wenn einer von euch sich darein mengt, so ist alles verschissen. Er ist ohnedem eifersüchtig genug das arme Herz, der Desportes macht ihm grausam zu schaffen und ich hab ihn mit genauer Not gehalten, daß er nicht ins Wasser sprang. Mein Pfiff ist, ihm Zutrauen zu seinem Weibe beizubringen, er muß sie wohl kennen, daß sie keine von den sturmfesten ist. Das sei euch also zur Nachricht, daß ihr mir den Menschen nicht verderbt.

RAMMLER. Was willst du doch reden, ich kenn ihn besser als du, er hat eine feine Nase das glaub du mir nur.

HAUDY. Und du eine noch feinere merk ich.

RAMMLER. Du meinst das sei das Mittel sich bei ihm einzuschmeicheln,[200] wenn man ihm Gutes von seiner Braut sagt. Du irrst dich, ich kenn ihn besser, grad das Gegenteil. Er stellt sich als ob er dir's glaubte und schreibt es sich hinter die Ohren. Aber wenn man ihm seine Frau verdächtig macht, so glaubt er daß wir's aufrichtig mit ihm meinen –

HAUDY. Mit deiner erhabenen Politik Rotnase! Willst du dem Kerl den Kopf toll machen, meinst du, er hat nicht Grillen genug drin. Und wenn er sie sitzen läßt, oder sich aufhängt – so hast du's darnach. Nicht wahr Herr Pfarrer, eines Menschen Leben ist doch kein Pfifferling.

EISENHARDT. Ich menge mich in Ihren Kriegsrat nicht.

HAUDY. Sie müssen mir aber doch recht geben.

PIRZEL. Meine werten Brüder und Kameraden, tut niemand Unrecht. Eines Menschen Leben ist ein Gut, das er sich nicht selber gegeben hat. Nun aber hat niemand ein Recht auf ein Gut, das ihm von einem andern ist gegeben worden. Unser Leben ist ein solches Gut –

HAUDY faßt ihn an die Hand. Ja Pirzel du bist der bravste Mann den ich kenne Setzt sich zwischen ihn und den Pfarrer. aber der Jesuit Den Pfarr umarmend. der gern selber möchte Hahn im Korbe sein möchte –

RAMMLER setzt sich auf die andere Seite zum Pfarrer und zischelt ihm in die Ohren. Herr Pfarrer, Sie sollen nur sehen was ich dem Haudy für einen Streich spielen werde.


Stolzius tritt herein. Haudy springt auf.


HAUDY. Ah mein Bester kommen Sie, ich habe ein gut Glas Punsch für uns bestellen lassen. Der Wind hat uns vorhin so durchgeweht.


Führt ihn an einen Tisch.


STOLZIUS den Hut abziehend zu den übrigen. Meine Herren Sie werden mir vergeben daß ich so dreist bin auf Ihr Kaffeehaus zu kommen, es ist auf Befehl des Herrn Majors geschehen.


Alle ziehen die Hüte ab, sehr höflich, und schneiden Komplimenten. Rammler steht auf und geht näher.[201]


RAMMLER. O gehorsamer Diener, es ist uns eine besondere Ehre.

STOLZIUS rückt noch einmal den Hut, etwas kaltsinnig, und setzt sich zu Haudy. Es geht ein so scharfer Wind draußen, ich meine wir werden Schnee bekommen.

HAUDY eine Pfeife stopfend. Ich glaub es auch. – Sie rauchen doch Herr Stolzius.

STOLZIUS. Ein wenig.

RAMMLER. Ich weiß nicht wo denn unser Punsch bleibt Haudy Steht auf. was die verdammte Roux solange macht.

HAUDY. Bekümmere dich um deine Sachen. Brüllt mit einer erschröcklichen Stimme. Madam Roux! Licht her – und unser Punsch, wo bleibt er.

STOLZIUS. O mein Herr Major, als ich Ihnen Ungelegenheit machen sollte, würd es mir sehr von Herzen leid tun.

HAUDY. Ganz und gar nicht lieber Freund. Präsentiert ihm die Pfeife. Die Lysluft kann doch wahrhaftig der Gesundheit nicht gar zu zuträglich sein.

RAMMLER setzt sich zu ihnen an den Tisch. Haben Sie neulich Nachrichten aus Lille gehabt? Wie befindet sich Ihre Jungfer Braut?


Haudy macht ihm ein Paar fürchterliche Augen, er bleibt lächelnd sitzen.


STOLZIUS verlegen. Zu Ihren Diensten mein Herr – aber ich bitt gehorsamst um Verzeihung, ich weiß noch von keiner Braut, ich habe keine.

RAMMLER. Die Jungfer Wesener aus Lille, ist sie nicht Ihre Braut? Der Desportes hat es mir doch geschrieben, daß Sie verlobt wären.

STOLZIUS. Der Herr Desportes müßte es denn besser wissen als ich.

HAUDY rauchend. Der Rammler schwatzt immer in die Welt hinein, ohne zu wissen was er redt und was er will.

EINER AUS DEM HAUFEN. Ich versichere Ihnen Herr Stolzius, Desportes ist ein ehrlicher Mann.[202]

STOLZIUS. Daran habe ich ja gar nicht gezweifelt.

HAUDY. Ihr Leute wißt viel vom Desportes. Wenn ihn ein Mensch kennen kann, so muß ich es doch wohl sein, er ist mir von seiner Mutter rekommandiert worden als er ans Regiment kam und hat nichts getan ohne mich zu Rat zu ziehen. Aber ich versichere Ihnen Herr Stolzius, daß Desportes ein Mensch ist der Sentiment und Religion hat.

RAMMLER. Und wir sind Schulkameraden mit einander gewesen. Keinen blödern Menschen mit dem Frauenzimmer habe ich noch in meinem Leben gesehen.

HAUDY. Das ist wahr, darin hat er recht. Er ist nicht im Stande ein Wort hervorzubringen, sobald ihn ein Frauenzimmer freundlich ansieht.

RAMMLER mit einer pedantisch plumpen Verstellung. Ich glaube in der Tat – wo mir recht ist – ja es ist wahr, er korrespondiert noch mit ihr, ich habe den Tag seiner Abreise einen Brief gelesen, den er an eine Mademoiselle in Brüssel schrieb, in die er ganz zum Erstaunen verliebt war. Er wird sie wohl nun bald heiraten denke ich.

EINER AUS DER GESELLSCHAFT. Ich kann nur nicht begreifen, was er solang in Lille macht.

HAUDY. Wetter Element, wo bleibt unser Punsch denn – Madam Roux!!!

RAMMLER. In Lille! O das kann euch niemand erklären als ich, denn ich weiß um alle seine Geheimnisse. Aber es läßt sich nicht öffentlich sagen.

HAUDY verdrüßlich. So sag heraus Narre! was hältst du hinter dem Berge.

RAMMLER lächelnd. Ich kann euch nur soviel sagen, daß er eine Person dort erwartet, mit der er in der Stille fortreisen will.

STOLZIUS steht auf und legt die Pfeife weg. Meine Herren, ich habe die Ehre mich Ihnen zu empfehlen.

HAUDY erschrocken. Was ist – wohin liebster Freund – wir werden den Augenblick bekommen.[203]

STOLZIUS. Sie nehmen mir's nicht übel – mir ist den Moment etwas zugestoßen.

HAUDY. Was denn? – Der Punsch wird Ihnen gut tun, ich versichere Sie.

STOLZIUS. Daß ich mich nicht wohl befinde lieber Herr Major. Sie werden mir verzeihen – erlauben Sie – aber ich kann keinen Augenblick länger hier bleiben, oder ich falle um –

HAUDY. Das ist die Rheinluft – oder war der Tabak zu stark?

STOLZIUS. Leben Sie wohl.


Geht wankend ab.


HAUDY. Da haben wir's. Mit euch verfluchten Arschgesichtern.

RAMMLER. Ha ha ha ha – Besinnt sich eine Weile, herumgehend. Ihr dummen Teufels, seht ihr denn nicht, daß ich das alles mit Fleiß angestellt habe – Herr Pfarrer hab ich's Ihnen nicht gesagt.

EISENHARDT. Lassen Sie mich aus dem Spiel, ich bitte Sie.

HAUDY. Du bist eine politische Gans, ich werde dir das Genick umdrehen.

RAMMLER. Und ich brech dir Arm und Bein entzwei und werf sie zum Fenster hinaus. Spaziert thrasonisch umher. Ihr kennt meine Finten noch nicht.

HAUDY. Ja du steckst voll Finten wie ein alter Pelz voll Läuse. Du bist ein Kerl zum Speien mit deiner Politik.

RAMMLEER. Und ich pariere, daß ich dich und all euch Leute hier beim Stolzius in Sack stecke, wenn ich's darauf ansetze.

HAUDY. Hör Rammler! es ist nur schade, daß du ein bißchen zuviel Verstand bekommen hast, denn er macht sich selber zu nicht, es geht dir wie einer allzuvollen Bouteille, die man umkehrt und doch kein Tropfen herausläuft, weil einer dem andern im Wege steht. Geh geh, wenn ich eine Frau habe, geb ich dir die Erlaubnis bei ihr zu schlafen, wenn du sie dahin bringen kannst.[204]

RAMMLER sehr schnell auf- und abgehend. Ihr sollt nur sehen, was ich aus dem Stolzius noch machen will. Ab.

HAUDY. Der Kerl macht einem das Gallenfieber mit seiner Dummheit. Er kann nichts als andern Leuten das Konzept verderben.

EINER. Das ist wahr er mischt sich in alles.

MARY. Er hat den Kopf immer voll Intrigen und Ränken, und meint andere Leute können ebenso wenig darohne leben als er. Letzt sagt ich dem Reitz ins Ohr, er möcht mir doch auf morgen seine Sporen leihen; ist er mir nicht den ganzen Tag nachgegangen und hat mich um Gotteswillen gebeten, ich möcht ihm sagen, was wir vorhätten. Ich glaub es ist ein Staatsmann an ihm verdorben.

EIN ANDRER. Neulich stellt ich mich an ein Haus, einen Brief im Schatten zu lesen, er meinte gleich es wär ein Liebesbrief, der mir aus dem Hause wär herabgeworfen worden, und ist die ganze Nacht bis um zwölf Uhr um das Haus herumgeschlichen. Ich dachte ich sollte aufbersten für Lachen, es wohnt ein alter Jude von sechzig Jahren in dem Hause, und er hatte überall in der Straße Schildwachten ausgestellt, die mir auflauren sollten und ihm ein Zeichen geben wenn ich hereinginge. Ich habe einem von den Kerls mit drei Livres das ganze Geheimnis abgekauft; ich dacht, ich sollte rasend werden.

ALLE. Ha, ha, ha, und er meint es sei ein hübsch Mädchen drin.

MARY. Hört einmal, wollt ihr einen Spaß haben der echt ist, so wollen wir den Juden avertieren, es sei einer da der Absichten auf sein Geld habe.

HAUDY. Recht recht, daß euch die schwere Not, wollen wir gleich zu ihm gehen. Das soll uns eine Komödie geben die ihres gleichen nicht hat. Und du Mary bring ihn nur immer mehr auf die Gedanken, daß da die schönste Frau in ganz Armentières wohnt, und daß Gilbert dir anvertraut hat, er werde diese Nacht zu ihr gehn.[205]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 198-206.
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