Dritte Szene

[206] In Lille.

Mariane weinend auf einem Lehnstuhl, einen Brief in der Hand. Desportes tritt herein.


DESPORTES. Was fehlt Ihnen mein goldenes Marianel, was haben Sie.

MARIANE will den Brief in die Tasche stecken. Ach –

DESPORTES. Ums Himmels willen, was ist das für ein Brief der Ihnen Tränen verursachen kann.

MARIANE etwas leiser. Sehen Sie nur, was mir der Mensch der Stolzius schreibt, recht als ob er ein Recht hätte mich auszuschelten. Weint wieder.

DESPORTES liest stille. Das ist ein impertinenter Esel. Aber sagen Sie mir, warum wechseln Sie Briefe mit solch einem Hundejungen.

MARIANE trocknet sich die Augen. Ich will Ihnen nur sagen Herr Baron, es ist weil er angehalten hat um mich und ich ihm schon so gut als halb versprochen bin.

DESPORTES. Er um Sie angehalten? Wie darf sich der Esel das unterstehen? Warten Sie ich will ihm den Brief beantworten.

MARIANE. Ja mein lieber Herr Baron! Und Sie können nicht glauben was ich mit meinem Vater auszustehen habe, er liegt mir immer in den Ohren, ich soll mir mein Glück nicht verderben.

DESPORTES. Ihr Glück – mit solch einem Lümmel. Was denken Sie doch, liebstes Marianel, und was denkt Ihr Vater? ich kenne ja des Menschen seine Umstände. Und kurz und gut, Sie sind für keinen Bürger gemacht.

MARIANE. Nein Herr Baron, davon wird nichts, das sind nur leere Hoffnungen mit denen Sie mich hintergehen. Ihre Familie wird das nimmermehr zugeben.

DESPORTES. Das ist meine Sorge. Haben Sie Feder und Dinte, ich will dem Lumpenhund seinen Brief beantworten, warten Sie einmal.[206]

MARIANE. Nein ich will selber schreiben.


Setzt sich an den Tisch und macht das Schreibzeug zurecht, er stellt sich ihr hinter die Schulter.


DESPORTES. So will ich Ihnen diktieren.

MARIANE. Das sollen Sie auch nicht.


Schreibt.


DESPORTES liest ihr über die Schulter. Monsieur – Flegel setzen Sie dazu. Tunkt eine Feder ein und will dazu schreiben.

MARIANE beide Arme über den Brief ausbreitend. Herr Baron –


Sie fangen an zu schöckern; sobald sie den Arm rückt, macht er Miene zu schreiben; nach vielem Lachen gibt sie ihm mit der nassen Feder eine große Schmarre übers Gesicht. Er läuft zum Spiegel sich abzuwischen, sie schreibt fort.


DESPORTES. Ich belaure Sie doch.


Er kommt näher, sie droht ihm mit der Feder, endlich steckt sie das Blatt in die Tasche; er will sie daran verhindern, sie ringen zusammen; Marie kützelt ihn, er macht ein erbärmliches Geschrei, bis er endlich halb atemlos auf den Lehnstuhl fällt.


WESENER tritt herein. Na was gibt's – die Leute von der Straße werden bald hereinkommen.

MARIANE erholt sich. Pappa denkt doch was der grobe Flegel der Stolzius mir für einen Brief schreibt, er nennt mich Ungetreue! Denk doch, als ob ich die Säue mit ihm gehütet hätte, aber ich will ihm antworten darauf das er sich nicht vermuten soll, der Grobian.

WESENER. Zeig mir her den Brief – ei sieh doch die Jungfer Zipfersaat – ich will ihn unten im Laden lesen. Ab.


Junger Zipfersaat tritt herein.


MARIANE hier und da launigt herumknicksend. Jungfer Zipfersaat hier hab ich die Ehre dir einen Baron zu präsentieren der sterblich verliebt in dich ist. Hier Herr Baron ist die Jungfer von der wir soviel gesprochen haben und in die Sie sich neulich in der Komödie so sterblich verschameriert haben.[207]

JUNGFER ZIPFERSAAT beschämt. Ich weiß nicht wie du bist Marianel.

MARIANE einen tiefen Knicks. Jetzt können Sie Ihre Liebesdeklaration machen. Läuft ab, die Kammertür hinter sich zuschlagend. Jungfer Zipfersaat ganz verlegen tritt ans Fenster. Desportes der sie verächtlich angesehen, paßt auf Marianen, die von Zeit zu Zeit die Kammertür ein wenig eröffnet. Endlich steckt sie den Kopf heraus; höhnisch. Na seid ihr bald fertig?


Desportes sucht sich zwischen die Tür einzuklemmen, Mariane sticht ihn mit einer großen Stecknadel fort; er schreit und läuft plötzlich heraus, um durch eine andere Tür in jenes Zimmer zu kommen. Jungfer Zipfersaat geht ganz verdrüßlich fort, derweil das Geschrei und Gejauchz im Nebenzimmer fortwährt.


WESENERS ALTE MUTTER kriecht durch die Stube, die Brille auf der Nase, setzt sich in eine Ecke des Fensters und strickt und singt, oder krächzt vielmehr mit ihrer alten rauhen Stimme.

Ein Mädele jung ein Würfel ist

Wohl auf den Tisch gelegen:

Das kleine Rösel aus Hennegau

Wird bald zu Gottes Tisch gehen.


Zählt die Maschen ab.


Was lächelst so froh mein liebes Kind

Dein Kreuz wird dir'n schon kommen

Wenn's heißt das Rösel aus Hennegau

Hab nun einen Mann genommen.


O Kindlein mein, wie tut's mir so weh

Wie dir dein Äugelein lachen

Und wenn ich die tausend Tränelein seh

Die werden dein Bäckelein waschen.


Indessen dauert das Geschöcker im Nebenzimmer fort. Die alte Frau geht hinein, sie zu berufen.[208]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 206-209.
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