Dritte Szene

[231] In Lille.

Ein Gärtchen an der Gräfin La Roche Hause.

Die Gräfin in einer Allee.


GRÄFIN. Was das Mädchen haben mag, daß es so spät in den Garten hinausgegangen ist. Ich fürchte, ich fürchte es ist etwas Abgeredtes. Sie zeichnet zerstreut, spielt die Harfe zerstreut, ist immer abwesend wenn ihr der Sprachmeister was vorsagt – still hör ich nicht jemand – ja sie ist oben im Lusthause und von der Straße antwortet ihr jemand.


Lehnt ihr Ohr an die grüne Wand des Gartens.

Hinter der Szene.


MARYS STIMME. Ist das erlaubt, alle Freunde, alles was Ihnen lieb war so zu vergessen?

MARIANENS STIMME. Ach lieber Herr Mary, es tut mir leid genug, aber es muß schon so sein. Ich versichere Ihnen die Frau Gräfin ist die scharmanteste Frau die auf Gottes Erdboden ist.

MARY. Sie sind ja aber wie in einem Kloster da, wollen Sie denn gar nicht mehr in die Welt? Wissen Sie daß[231] Desportes geschrieben hat, er ist untröstlich, er will wissen wo Sie sind und warum Sie ihm nicht antworten?

MARIANE. So? – Ach ich muß ihn vergessen, sagen Sie ihm das, er soll mich nur auch vergessen.

MARY. Warum denn? – Grausame Mademoiselle! ist das erlaubt, Freunden so zu begegnen.

MARIANE. Es kann nun schon nicht anders sein – Ach Herr Gott, ich höre jemand im Garten unten. Adieu, adieu – Flattieren Sie sich nur nicht –


Kommt herunter.


GRÄFIN. So Mariane! ihr gebt euch Rendezvous.

MARIANE äußerst erschrocken. Ach gnädige Frau – es war ein Verwandter von mir – mein Vetter und der hat nun erst erfahren wo ich bin –

GRÄFIN sehr ernsthaft. Ich habe alles gehört.

MARIANE halb auf Knien. Ach Gott so verzeihen Sie mir nur diesmal.

GRÄFIN. Mädchen du bist wie das Bäumchen hier im Abendwinde, jeder Hauch verändert dich. Was denkst du denn, daß du hier unter meinen Augen den Faden mit dem Desportes wieder anzuspinnen denkst, dir Rendezvous mit seinen guten Freunden gibst. Hätt ich das gewußt, ich hätte mich deiner nicht angenommen.

MARIANE. Verzeihen Sie mir nur diesmal.

GRÄFIN. Ich verzeih es dir niemals wenn du wider dein eigen Glück handelst. Geh!

MARIANE geht ganz verzweiflungsvoll ab.

GRÄFIN allein. Ich weiß nicht ob ich dem Mädchen ihren Roman fast mit gutem Gewissen nehmen darf. Was behält das Leben für Reiz übrig, wenn unsere Imagination nicht welchen hineinträgt; Essen, Trinken, Beschäftigungen ohne Aussicht, ohne sich selbst gebildetem Vergnügen sind nur ein gefristeter Tod. Das fühlt sie auch wohl und stellt sich nur vergnügt. Wenn ich etwas ausfündig machen könnte, ihre Phantasei mit meiner Klugheit zu vereinigen, ihr Herz, nicht ihren Verstand zu zwingen mir zu folgen.[232]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 231-233.
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