Zweite Szene

[229] In Armentières.

Desportes in der Prison. Haudy bei ihm.


DESPORTES. Es ist mir recht lieb, daß ich in Prison itzt bin, so erfährt kein Mensch, daß ich hier sei.[229]

HAUDY. Ich will den Kameraden allen verbieten es zu sagen.

DESPORTES. Vor allen Dingen daß es nur der Mary nicht erfährt.

HAUDY. Und der Rammler. Der ohnedem so ein großer Freund von dir sein will, und sagt er ist mit Fleiß darum ein paar Wochen später zum Regiment gekommen, um dir die Anciennität zu lassen.

DESPORTES. Der Narr.

HAUDY. O hör, neulich ist wieder ein Streich mit ihm gewesen, der zum Fressen ist. Du weißt der Gilbert logiert bei einer alten krummen schielenden Witwe, bloß um ihrer schönen Cousine willen, nun gibt er alle Woche der zu Gefallen ein Konzert im Hause, einmal besäuft sich mein Rammler und weil er meint die Cousine schläft dort, so schleicht er sich vom Nachtessen weg und nach seiner gewöhnlichen Politik obenauf in der Witwe Schlafzimmer, zieht sich aus und legt sich zu Bette. Die Witwe die sich auch den Kopf etwas warm gemacht hat, bringt noch erst ihre Cousine, die auf der Nachbarschaft wohnt, mit der Laterne nach Hause; wir meinen unser Rammler ist nach Hause gegangen, sie steigt hernach in ihr Zimmer herauf, will sich zu Bett legen und findt meinen Monsieur da, der in der äußersten Konfusion ist. Er entschuldigt sich er habe die Gelegenheit vom Hause nicht gewußt, sie transportiert ihn ohne viele Mühe wieder herunter und wir lachen uns über den Mißverstand die Bäuche fast entzwei. Er bittet sie und uns alle um Gotteswillen doch keinem Menschen was von der Historie zu sagen. Du weißt nun aber wie der Gilbert ist, der hat's nun alles dem Mädel wiedererzählt und die hat dem alten Weibe steif und fest in den Kopf gesetzt, Rammler wäre verliebt in sie. In der Tat hat er auch ein Zimmer in dem Hause gemietet, vielleicht um sie zu bewegen nicht Lärm davon zu machen. Nun solltest du aber dein Himmelsgaudium haben, ihn und das alte[230] Mensch in Gesellschaft zusammen zu sehen. Sie minaudiert und liebäugelt und verzerrt ihr schiefes runzligtes Gesicht gegen ihn, daß man sterben möchte, und er mit seiner roten Habichtsnase und den stieren erschrocknen Augen – siehst du es ist ein Anblick, an den man nicht denken kann ohne zu zerspringen.

DESPORTES. Wenn ich wieder frei werde soll doch mein erster Gang zu Gilbert sein. Meine Mutter wird nächstens an den Obristen schreiben, das Regiment soll für meine Schulden gut sagen.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 229-231.
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