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Jakob Michael Reinhold Lenz

Briefe eines jungen

L- von Adel an seine Mutter

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Liebe Mutter, ich gehe hier alle Tage aufs Feld und kann Ihnen nicht sagen, was mir die Bauren für Freude machen. Bisweilen geh ich weit weit und kehre zu Mittag in einem Dorf ein, aber ja nicht in der Schenke, sondern bei einem Bauer und gebe mich für einen reisenden Handwerksburschen aus, damit die Leute sich nicht in acht vor mir nehmen. Ich frage sie sodann nach allem und weil ich brav schmeicheln kann und an all ihrem Wesen solchen Anteil nehme, als ob ich der Sohn aus dem Hause wäre, so sagen sie mir's. Liebe Mama! wenn ich nach Hause komme, soll alles anders werden. Ich sehe es kommt nichts dabei heraus wenn der Bauer wie das Vieh gehalten wird, er wird faul und unlustig. Es will ja bei uns mit nichts recht fort. Der Herr Professor sagt: die Schuld liegt am Bauer, denn der Bauer ist die Stütze des Staats. Wissen Sie wie ich's mache, wenn ich nach Hause komme. Ich lasse mein ganzes Gut aufnehmen nach Ruten und Schuhen. Ja ja, Sie müssen wissen, ich versteh es itzt, ich habe neulich eine ganze Wiese und noch dazu mit einem Fluß und Busch darin aufgenommen ganz allein. Ich bin ein rechter Ingenieur. Alsdenn – lachen Sie mich aber nur nicht aus, liebe Mama, sonst kann ich keine Zeile mehr schreiben – alsdenn laß ich alle meine Bauren aufschreiben, Jungens und Mädchens, Große und Kleine – Alsdenn – nun seh ich, wie Sie schon wieder über alles sich mokieren, wovon Sie nichts verstehen – nehmen Sie mir nicht übel, gnädige Mama, ich will ja gern Schläge aushalten und Ihnen noch die Hand dazu küssen, wenn Sie mich nur machen lassen – alsdenn, wollte ich sagen, berechne ich nach hiesigem d – Fuß, wieviel ein Bauer wohl Acker braucht, um damit für sich und seine Familie honett auszukommen und der[323] Herrschaft ihre Fronen ohne Beschwer zu entrichten. Alsdenn – aber Sie müssen mich ganz bis zu Ende hören, ad unguem wie der Lateiner sagt; nun hab ich freilich eine große Dummheit begangen daß ich Ihnen lateinisch schreibe, da Sie ja nicht einmal wissen was ad ist und was unguem ist und ich es Ihnen auch nicht erklären kann, weil ich da von Praeposition und von Casus reden müßte, das Sie eben so wenig verstehen. Aber Sie werden mir's verzeihen, gnädige Mama, die Gelehrten machen oft dumme Streiche und bleiben deswegen immer Gelehrte, sagt der Herr Professor; es ist wie mit den schönen Frauenzimmern, deren Briefe man noch einmal so gern liest wenn ein paar orthographische Schnitzer darin sind – aber wo war ich denn nun? o weh – und hab ich alles vergessen; so geht's, wenn man an die Frauenzimmer schreibt, nehmen Sie mir nicht übel – ja, ich wollte sagen alsdenn teile ich jedem Bauer, der Wirt ist und große Söhne oder Knechte hat, so und so viel Ackerland aus und sag: hör lieber Freund, das ist nun dein Eigentum, darüber kannst du schalten und walten wie du willst. Nur mußt du mir davon die und die Fronen entrichten, das versteht sich am Rande. Sie werden sagen: das ist wider die Landeseinrichtungen! Was gehn mich die Landeseinrichtungen an, wenn ich mehr tue als sie von mir fodern. Das ist eine Sünde in meinen Beutel. Sie werden sagen: man wird dir Vormünder setzen auf daß du wirst dein Vermögen durchbringen. Ei ja doch, was Sie nicht mögen. Ich hoffe, ich werde mehr dabei gewinnen als die andern alle. Vors erste bin ich sicher, daß niemand davon läuft und das ist schon viel. Vors andere arbeitet mir alles und das ist noch mehr, wenn Sie's gnädigst erlauben; denn wo nur Arbeit ist, da kann der Gewinst nicht fehlen, sagt der Herr Professor. Vors dritte bin ich gewiß, daß mir niemand desertiert und vors vierte – aber daß das ja unter uns bleibt, gnädigste Mama, denn sobald meine Bauren was davon erfahren, so ist alles verfumfeit – wenn ich erst sehe, daß es meinen[324] Bauren gut geht und da muß ich mich aufs Spionieren legen und daß sie durch ihren Gewerb und Verkehr was vor sich gebracht haben, so komme ich ganz leise und milche sie ein bißchen, das will soviel sagen, Mama: ich komme und setz ihnen ein wenig mehr an an Zehnten und dergleichen, was sie bei uns die Gerechtigkeit nennen – Zuletzt halt ich sie an mir das in barem Gelde zu zahlen wenn erst der Verkehr mit den Städten größer wird und sie bar Geld haben und nicht alles was sie lösen gleich in Branntwein vertrinken, wie sie jetzt wohl tun; aus lauter Verzweiflung, sagt der Professor: weil sie kein Eigentum nicht haben. Noch eins, Mama! auf dem Lande leb ich nicht, das sage ich Ihnen zum Voraus, und wenn's eine Stadt wäre so groß als mit einer Kuhhaut zu bedecken, es ist doch immer besser unter Menschen sein. In der Stadt da halt ich immer alle Tage ein paar Kuverts offene Tafel für die Gelehrten, von denen man immer eins oder das andere lernen kann, wenigstens amüsieren sie einen, daß man nicht niedergeschlagen oder wild wird. Alsdenn halt ich mir meine Handwerker, die für mich arbeiten müssen, das heißt ich laß mehrere das selbe Stück Arbeit machen und wähle den besten für die Zukunft, die andern bezahl ich alle gut, aber laß sie hernach gehen. So wird das was ich trage oder habe gewiß immer nach der Mode sein und meinen Nachbarn den Ton geben. Es ist doch angenehm wenn man andern Leuten den Ton gibt, Mama! und die Handwerker werden dadurch in einer beständigen Jalousie gehalten, daß einer dem andern nichts nachgeben will; am Ende werden sie mich bitten, um das halbe Geld was von ihnen anzunehmen, nur damit sie in die Mode kommen. Eben so mache ich's mit meinen Kaufleuten. Aber alles das muß hantteïert sein sagt der Herr Professor, denn wenn man's anfängt, es wieder läßt – so tut's einem nur mehr Schaden. Und denn muß ich auch Geschmack und die Sachen die sie machen zu beurteilen verstehen, muß auch schon mehr gesehen haben in der Welt. Und das hab[325] ich nun auch schon und werde es noch mehr, wenn ich nach Haus komme. O da bestelle ich mir schon Kaufleute, die meinen Kaufleuten alles aus der ersten Hand liefern sollen; laß es kosten – ich bring es schon wieder ein. Dafür trag ich meine Kapitalien bei unseren Kaufleuten höher an. O, wenn ich unsern andern Edelleuten nur den Ton erst gebe, die Kaufleute werden ...

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 1, Stuttgart 1965–1966, S. 323-326.
Undatiert, Erstdruck in: Gesammelte Schriften, hg. v. Franz Blei, München und Leipzig 1909/1913.
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