[19] Die Du weis' und gerecht stets in demselben Glanz

Herrschst, Anbethung verschmähst, anbethungswürdig sein

Ohne Lorbeer voll Bluts, thörichte Helden lehrst,

Hin, hinauf zu Dir fleugt mein Lied.


Furchtsam weihet es Dir dieses betränte Bild

Durch der Mitternacht Graun schlängelnder Blizze, Bluts,

Das durch Blumen und Gras rinnt, wie die Quelle rinnt,

Und des Sterbtages der Natur.


Mit des Frühlinges Pracht, mit seinem ersten Schmuk

Kränzt' ihr glükliches Haupt, schmükte die stolze Brust

Meine Muse, wenn Dir, wenn auf diß Bild, wenn Dir

Eine göttliche Trän' entfiel.


Denn Du hassest den Krieg, hassest den prächtgen Mord,

Winkst dem Hunger zu fliehn, betest zu Gott fürs Land

Und Dein Flehen verscheucht Abbadon, daß das Schwerdt

Aus der bebenden Hand ihm sinkt.


Kann er hart genug einst, Dich uns zu rauben, sein?

Solch ein Lächeln wie Deins sehen und tödten? Traurt,

Bebt sein Innerstes nicht, wenn er ein Bild von Gott,

Catharinen entseelen soll?[19]


Lebe, Mutter der Welt! siehe, der Völker Wohl

Fleht, es fleht Ihr Gebet, still in die Nacht geschluchst:

Lebe! die Du an Huld gleichest der Gottheit, sei

An Unsterblichkeit auch ihr gleich.


Denn ich seh es im Geist, um Deine schwarze Gruft

Drängt ein sprachloser Kreiß; Schluchsen und Seufzen trennt

Die nachhallende Luft, Schluchsen und Heulen tönt

Von dem Belt bis zum schwarzen Meer.


Trostloß raufet der Greis das ihm gebliebne Haar,

Wirft sein heiliges Haar ausgerauft auf Dein Grab:

Dreimal küßt er den Staub der Deine Leiche dekt,

Dreimal weinet er laut und ruft:


»Warum zeugtest du mich, du, der du mich gezeugt?

Warum zeugete ich, du, den ich zeugte, dich?

Daß mein Auge soll sehn, Sohn, daß dein Auge soll

Catharinen erblasset sehn?«

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 19-20.
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