Elftes Kapitel

[497] Was nach dem Tode des Grafen-Herzogs im Schloß von Loeches geschah, und wozu Santillana sich entschloß


Der Minister wurde im Nonnenkloster ohne Pomp und Aufsehen, wie er es angeordnet hatte, aber unter unsern lauten Klagen bestattet. Nach der Leichenfeier ließ die Gräfin von[497] Olivares uns das Testament vorlesen, und alle Bedienten konnten zufrieden sein. Jeder erhielt ein seiner Stellung entsprechendes Legat, und das geringste betrug zweitausend Taler. Meins war das höchste: der Minister hinterließ mir als Zeichen seiner ganz besonderen Zuneigung zehntausend Pistolen. Er vergaß auch die Spitäler nicht und stiftete in mehreren Klöstern jährliche Seelenmessen.

Die Gräfin von Olivares schickte alle Dienstboten nach Madrid zur Erhebung ihrer Legate bei dem Verwalter Don Raimondo Caporis, der Befehl hatte, sie auszuzahlen; aber ich konnte nicht mit ihnen aufbrechen: ein heftiges Fieber, die Folge meines Kummers, hielt mich noch sieben bis acht Tage im Schloß zurück. Derweilen ließ mich der Dominikanerpater nicht im Stich. Der gute Mönch hatte mich liebgewonnen, und da ihm mein Seelenheil am Herzen lag, fragte er mich, als ich auf dem Wege zur Besserung war, was ich beginnen wollte. Ich weiß es nicht, ehrwürdiger Vater, erwiderte ich; ich bin mir darin mit mir selber noch nicht einig: mitunter bin ich in Versuchung, mich in eine Zelle einzuschließen, um Buße zu tun. Kostbare Augenblicke! rief der Dominikaner aus; Herr von Santillana, Ihr tätet gut daran, sie zu benutzen. Ich rate Euch als Freund, ohne daß Ihr deshalb Weltlicher zu sein aufhören müßtet, Euch zum Beispiel in unser Madrider Kloster zurückzuziehn, Euch durch eine Schenkung all Eurer Habe zu seinem Wohltäter zu machen und in dem Gewande des heiligen Dominikus zu sterben. Viele Menschen sühnen durch ein solches Ende ein weltliches Leben.

In meiner Geistesverfassung ärgerte mich der Rat des Mönchs nicht, und ich antwortete Seiner Ehrwürden, ich würde darüber meine Erwägungen anstellen. Aber als ich Scipio zu Rate zog, den ich bald nach dem Pater sah, erhob er sich gegen diesen Gedanken, der ihm als der Einfall eines Kranken erschien. Pfui! Herr von Santillana, sagte er, kann Euch eine solche Zuflucht zusagen? Bietet Euch Euer Schloß in Lirias[498] nicht eine angenehmere? Wenn Ihr schon früher von ihm entzückt wart, so werdet Ihr jetzt, in einem Alter, in dem man sich von den Schönheiten der Natur leichter ergreifen läßt, alle seine Reize noch mehr genießen.

Es wurde Scipio nicht schwer, mich von dem Klostergedanken abzubringen. Mein Freund, sagte ich, du schlägst den Dominikanerpater. Ich sehe wirklich, ich werde besser daran tun, nach Lirias zurückzukehren; ich bleibe dabei. Wir wollen aufbrechen, sobald ich dazu imstande bin. Es dauerte nicht mehr lange; denn da ich kein Fieber mehr hatte, fühlte ich mich in Kürze kräftig genug, meinen Entschluß auszuführen. Wir begaben uns nach Madrid. Der Anblick dieser Stadt machte mir nicht mehr so viel Vergnügen wie ehemals. Da ich wußte, daß fast all ihre Einwohner das Andenken eines Ministers haßten, dem ich die zärtlichste Erinnerung bewahrte, so waren sie mir zuwider: ich blieb daher auch nur fünf bis sechs Tage dort, die Scipio auf die Vorbereitungen zu unserer Reise nach Lirias verwandte. Während er an unsere Ausrüstung dachte, suchte ich Caporis auf, der mir mein Legat in Dublonen gab. Ich ging auch zu den Schatzmeistern der Ordensgüter, von denen ich Renten bezog, und traf wegen der Zahlungen Abrede mit ihnen; kurz, ich ordnete alle meine Angelegenheiten.

Am Tage vor unserem Aufbruch fragte ich Scipio, ob er von Don Henrico Abschied genommen habe. Ja, erwiderte er, wir haben uns heute morgen in Güte getrennt; er hat mir freilich gesagt, es täte ihm leid, daß ich ihn verließe, aber wenn er mit mir zufrieden war, so war ich es keineswegs mit ihm. Es genügt nicht, daß der Diener dem Herrn gefällt, der Herr muß auch dem Diener gefallen, sonst passen sie schlecht zusammen. Übrigens, fuhr er fort, spielt Don Henrico bei Hofe nur noch eine jämmerliche Rolle; er ist der äußersten Verachtung verfallen: man zeigt auf der Straße mit Fingern auf ihn, und man nennt ihn nur noch den Sohn der Genueserin.[499] Sagt selber, ob es sich für einen Burschen von Ehre schickt, einem entehrten Manne zu dienen.

Endlich fuhren wir eines schönen Tages mit Sonnenaufgang aus Madrid hinaus und schlugen in folgender Ordnung und Ausrüstung den Weg nach Cuenza ein. Mein Vertrauter und ich, wir saßen in einer Kutsche, die von zwei Maultieren gezogen und von einem Postillon gelenkt wurde; drei Maultiere folgten uns unmittelbar, beladen mit unserm Gepäck und unserm Gelde, geführt von zwei Knechten; dann kamen zwei Lakaien, die Scipio ausgesucht hatte, bis an die Zähne bewaffnet, auf zwei Maultieren; auch die Knechte trugen Säbel, und der Postillon hatte zwei gute Pistolen am Sattelbogen hängen. Da wir sieben Menschen waren, unter ihnen sechs sehr entschlossene Leute, so machte ich mich heiter auf den Weg, ohne für mein Legat zu fürchten. In den Dörfern, durch die wir kamen, ließen unsre Maultiere stolz ihre Glöckchen erklingen, die Bauern liefen an ihre Türen, um unsern Zug zu sehn, und er erschien ihnen mindestens als der eines Granden, der einen Vizekönigsthron besteigen wollte.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 497-500.
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