Fünftes Kapitel

[480] Der Sohn der Genueserin wird durch amtliche Urkunde anerkannt und Don Henrico Philippo de Guzman genannt. Santillana leitet das Haus des jungen Edelmanns und wählt für ihn alle nötigen Lehrer


Wirklich erkannte der Graf-Herzog bald darauf den Sohn der Doña Margarita Spinola an, und diese Anerkennung wurde mit der Einwilligung und unter dem Beifall des Königs vollzogen. Don Henrico Philippo de Guzman – diesen Namen[480] gab man dem Kind der vielen Väter – wurde darin zum einzigen Erben der Grafschaft von Olivares und des Herzogtums von San Lucar ernannt. Der Minister ließ, damit alle Welt davon erführe, diese Erklärung durch Carnero den Gesandten und Granden Spaniens zugehn, die nicht wenig verwundert waren. Die Lacher hatten in Madrid noch lange Stoff, und die satirischen Dichter ließen sich die schöne Gelegenheit, Gift aus ihren Federn zu spritzen, nicht entgehn.

Ich fragte den Grafen-Herzog, wo der Jüngling sei, den er meiner Obhut anvertrauen wollte. In dieser Stadt, erwiderte er, bei einer Tante, der ich ihn nehmen werde, sowie du ihm ein Haus hast bereiten lassen. Das war bald ausgeführt. Ich mietete eines, das ich prunkvoll möblieren ließ. Ich nahm Pagen an, einen Pförtner und Lakaien, und mit Caporis' Hilfe besetzte ich die Stellen der Köche und Tafeldiener. Als ich alle meine Leute hatte, meldete ich es Seiner Exzellenz, die sofort den zweifelhaften und neuen Sprößling am Stamme der Guzmans holen ließ. Ich sah einen großen Burschen von ziemlich angenehmer Erscheinung. Don Henrico, sagte der Minister, indem er auf mich wies, dieser Kavalier ist der Führer, den ich Euch für Eure Laufbahn in der Gesellschaft auserwählt habe; ich setze volles Vertrauen in ihn und gebe ihm absolute Macht über Euch. Ja, Santillana, fügte er, zu mir gewendet, hinzu, ich übergebe ihn Euch, und ich zweifle nicht, daß Ihr günstig über ihn berichten werdet. Diesen Worten ließ der Minister noch weitere folgen, um den jungen Mann zu ermahnen, daß er sich meinem Willen füge; dann führte ich Don Henrico in sein Haus.

Sowie wir dort angekommen waren, ließ ich ihm alle seine Dienstboten vorstellen und erklärte ihm eines jeden Amt im Hause. Er schien von dem Wechsel in seiner Stellung nicht geblendet; gern ließ er sich die Achtung und den aufmerksamen Gehorsam gefallen, den man ihm bezeigte, und so sah es aus, als wäre er immer gewesen, was er nur durch Zufall[481] geworden war. Es fehlte ihm nicht an Verstand, aber er war von krasser Unwissenheit; er konnte kaum lesen und schreiben. Ich gab ihm einen Hauslehrer, der ihn die Anfangsgründe des Lateinischen lehren sollte, und nahm einen Geographielehrer, einen Geschichtslehrer und einen Fechtlehrer in Dienst. Man wird sich denken können, daß ich auch den Tanzlehrer nicht vergaß, nur machte die Wahl mir Schwierigkeiten; es gab damals in Madrid sehr viele berühmte, und ich wußte nicht, welchem ich den Vorzug geben sollte.

Als ich in dieser Verlegenheit war, sah ich eines Tages einen reich gekleideten Mann in den Hof unsres Hauses treten. Man sagte mir, er wünsche mich zu sprechen. Ich ging ihm entgegen, da ich glaubte, er sei zum mindesten ein Ritter des Sankt Jakobs-Ordens oder von Alcantara. Ich fragte ihn, womit ich dienen könnte. Herr von Santillana, erwiderte er, nachdem er mir mehrere Verbeugungen gemacht hatte, die denn freilich seinen Beruf verrieten: da man mir sagt, Euer Gnaden wähle für den Herrn Don Henrico die Lehrer aus, so komme ich, um Euch meine Dienste anzubieten; ich heiße Martin Ligero und genieße, dem Himmel sei Dank, einigen Ruf. Ich bettle gewöhnlich nicht um Schüler, das schickt sich nur für kleine Tanzmeister; ich warte, bis man mich sucht. Aber da ich den Herzog von Medina Sidonia, Don Luis de Haro und ein paar andre Edelleute vom Hause Guzman unterrichtete, dessen geborener Diener ich sozusagen bin, so mache ich es mir zur Pflicht, Euch zuvorzukommen. Ich ersehe aus Euren Worten, erwiderte ich, daß Ihr der Mann seid, den wir brauchen. Wieviel nehmt Ihr im Monat? Vier Doppelpistolen, gab er zur Antwort: das ist der laufende Preis; und ich gebe nur zwei Stunden die Woche. Vier Dublonen im Monat! rief ich: das ist viel. Wie! viel? versetzte er erstaunt; Ihr würdet doch selbst einem Lehrer der Philosophie monatlich eine Pistole geben![482]

Einer so heitern Antwort konnte ich nicht widerstehn; ich lachte herzlich auf und fragte den Herrn Ligero, ob er im Ernst glaube, daß ein Mann seines Handwerks einem Lehrer der Philosophie überlegen sei. Zweifellos! sagte er; wir sind in der Gesellschaft von größerem Nutzen als jene Herren. Was sind die Menschen, ehe sie uns durch die Hände gehn? Hölzerne Klötze, ungeleckte Bären; aber unsre Lektionen entwickeln sie allmählich, so daß sie unmerklich Gestalt annehmen; mit einem Wort, wir lehren sie, sich mit Anmut bewegen, wir geben ihnen eine Haltung voll Adel und Würde.

Ich fügte mich den Gründen dieses Tanzmeisters, und ich nahm ihn gegen vier Doppelpistolen im Monat für Don Henrico in Dienst, da die großen Meister der Kunst nun einmal diesen Preis angesetzt hatten.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 480-483.
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