Siebentes Kapitel

[288] Wie die Komödianten von Granada Gil Blas aufnahmen und welches neue Wiedersehn er hinter den Kulissen erlebte


Wir waren noch mitten in unsrer Unterhaltung, als eine alte Komödiantin zu Estella kam, um sie zum Schauspiel abzuholen. Diese ehrwürdige Theaterheroine hätte ganz gut die Rolle der Göttin Cotytto spielen können. Meine Schwester versäumte nicht, ihren Bruder der hochbetagten Dame vorzustellen; daraufhin große Komplimente hin und her.

Ich ließ sie allein, indem ich zu Don Antonios Witwe sagte, ich würde sie im Theater wiedersehn, sobald ich meine Sachen zum Marquis von Marialva hätte tragen lassen, dessen Wohnung sie mir nannte. Ich kehrte zunächst in mein Zimmer zurück, bezahlte meine Wirtin und begab mich dann mit einem Mann, der mein Felleisen trug, in ein großes Logierhaus, in dem mein neuer Herr wohnte. An der Tür traf ich auf seinen Verwalter, der mich fragte, ob ich der Bruder der Frau Estella sei. Ich bejahte. Dann seid willkommen, erwiderte er, Herr Kavalier. Der Marquis von Marialva, dessen Verwalter ich zu sein die Ehre habe, hat mir befohlen, Euch gut aufzunehmen. Man hat Euch ein Zimmer bereitet; ich werde Euch, wenn Ihr erlaubt, hinaufführen, um Euch den Weg zu zeigen. Ich mußte ganz oben ins Haus hinaufsteigen; mein Zimmer war so eng, daß ein schmales Bett, ein Schrank und zwei Stühle es füllten. Ihr habt hier nicht sehr viel Raum, sagte mein Führer; aber dafür verspreche ich Euch, daß Ihr in Lissabon prachtvoll wohnen sollt. Ich verschloß mein Felleisen in dem Schrank, dessen Schlüssel ich abzog, und fragte dann, um welche Stunde man zu Nacht esse. Die Antwort lautete, der portugiesische Edelmann speise nicht im Hause, sondern zahle jedem Diener monatlich eine bestimmte Summe für die Kost. Ich stellte noch weitere Fragen und erfuhr, daß die Leute des Marquis glückliche Nichtstuer waren.[289] Nach einer kurzen Unterhaltung verließ ich den Verwalter, um wieder zu Laura zu gehen; unterwegs malte ich mir die Aussichten meiner neuen Stellung angenehm aus.

Als ich an der Tür des Theaters ankam und sagte, ich sei der Bruder Estellas, stand mir sofort alles offen. Die Aufseher bahnten mir einen Gang, als wäre ich einer der vornehmsten Herren von Granada. Alle Theaterdiener, denen ich begegnete, machten mir tiefe Verbeugungen. Gern aber möchte ich dem Leser den feierlichen Empfang schildern, den man mir komischerweise hinter den Kulissen bereitete, wo ich die ganze Truppe in Kostümen und zum Spiel bereit vor fand. Die Komödianten und Komödiantinnen, denen Laura mich vorstellte, stürzten auf mich zu. Die Männer bestürmten mich mit Umarmungen, und die Frauen drückten ihre bemalten Gesichter auf das meine, das sie mit roter und weißer Schminke bedeckten. Da mir niemand als letzter sein Kompliment machen wollte, begannen sie alle zugleich zu reden. Ich hätte ihnen allein nicht antworten können, aber meine Schwester kam mir zu Hilfe, und ihre geübte Zunge blieb niemandem etwas schuldig.

Ich kam mit den Umarmungen der Schauspieler und der Schauspielerinnen noch nicht davon. Ich mußte auch noch die Höflichkeiten des Dekorateurs, der Musikanten, des Souffleurs, des Lichtputzers und des Lichtputzergehilfen und schließlich aller Theaterdiener entgegennehmen, die auf das Gerücht meiner Ankunft hin herbeieilten, um mich zu betrachten. Es schien, als wären alle diese Leute Findlinge, die noch nie einen Bruder gesehen hatten.

Derweilen begann das Stück. Einige Edelleute, die hinter den Kulissen waren, eilten auf ihre Plätze. Ich unterhielt mich weiter mit den Schauspielern, die noch nicht aufzutreten hatten. Unter ihnen war einer, den man Melchior nannte. Dieser Name kam mir bekannt vor. Aufmerksam sah ich mir seinen Träger an, und mir war, als hätte ich ihn schon irgendwo gesehn. Schließlich[290] erkannte ich ihn als jenen Melchior Zapata, den armen Landkomödianten, der, wie ich im ersten Teil meiner Geschichte erzählt habe, Brotrinden in einer Quelle aufweichte.

Ich nahm ihn sogleich beiseite und sagte zu ihm: Ich täusche mich sehr, wenn Ihr nicht jener Herr Melchior seid, mit dem ich eines Tages die Ehre hatte, zwischen Valladolid und Segovia am Ufer einer kleinen Quelle zu frühstücken. Ich reiste mit einem Barbiergehilfen. Wir hielten zu dritt eine kleine Mahlzeit, die mit tausend angenehmen Reden gewürzt war. Zapata dachte einen Augenblick nach; dann erwiderte er: Ihr spracht mir von einer Reise, deren ich mich recht wohl entsinne. Ich kam damals von meinem Debüt in Madrid zurück und wollte wieder nach Zamora. Ich entsinne mich sogar, daß es mir sehr schlecht ging. Dessen entsinne ich mich auch, versetzte ich; Ihr trugt zum Beispiel ein Wams, das mit Theaterzetteln gefüttert war. Ich habe auch nicht vergessen, daß Ihr Euch damals über eine zu züchtige Frau beklagtet. Oh, jetzt beklage ich mich nicht mehr darüber, sagte Zapata eifrig. Gott sei Dank! das hat das Weib sich abgewöhnt; darum ist mein Wams auch besser gefüttert.

Ich wollte ihm gerade Glück dazu wünschen, daß seine Frau vernünftig geworden war, als er mich verlassen mußte, um auf der Bühne zu erscheinen. Neugierig auf seine Frau, trat ich zu einem Schauspieler und bat ihn, sie mir zu zeigen; er tat es mit den Worten: Ihr seht sie; es ist Narcissa, die schönste unsrer Damen nach Eurer Schwester. Nach Schluß des Stücks führte ich Laura in ihre Wohnung, wo ich mehrere Köche bemerkte, die ein großes Abendessen bereiteten. Du kannst hier essen, sagte sie. Ich werde mich hüten, erwiderte ich; der Marquis wird vielleicht gern mit Euch allein sein. O nein! versetzte sie; er kommt mit zwei Freunden und einem Kollegen von mir; es steht bei dir, der sechste zu sein. Du weißt ja, bei den Komödiantinnen haben die Sekretäre das Vorrecht, mit den Herren zu essen. Freilich, sagte ich; aber[291] das hieße, mich zu früh als einen seiner Günstlinge gebärden. Erst muß ich einen vertraulichen Auftrag zu erfüllen haben, um mir dies Ehrenrecht zu verdienen. Ich verließ also Laura und ging in meine Herberge, wo ich täglich zu essen gedachte, da mein Herr keinen Haushalt führte.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 288-292.
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