I

Mein Vater war ein seinerzeit sehr bekannter Untersuchungsrichter. Ihm wurden viele wichtige Fälle anvertraut, und er war darum meistens auf Reisen. Zu Hause blieben nur Mutter, ich und die Dienstboten.

Meine Mutter war damals noch sehr jung, und ich ein kleiner Bengel.

Als sich die Geschichte, von der ich hier erzähle, abspielte, war ich erst fünf Jahre alt.

Es war zur Winterszeit. Der Winter war in jenem Jahre so streng, daß die Schafe oft nachts in ihren Ställen erfroren und Dohlen erstarrt auf die hartgefrorene Erde niederfielen. Mein Vater befand sich damals in einer dienstlichen Angelegenheit in Jelez und konnte nicht einmal zu Weihnachten nach Hause kommen. Meine Mutter wollte daher selbst zu ihm hinüberfahren, damit er das schöne und freudige Fest nicht allein verbringe. Der fürchterlichen Kälte wegen nahm sie mich nicht mit, sondern ließ mich bei ihrer Schwester und meiner Tante zurück, die mit einem Gutsbesitzer aus Orjol verheiratet war. Dieser Onkel hatte nicht den besten Ruf. Er war reich, alt und grausam. Seine hervorragendsten Charaktereigenschaften waren Gehässigkeit und Unnachsichtigkeit; er war darüber durchaus nicht unglücklich, sondern prahlte gerne mit diesen Eigenschaften, die seiner Ansicht[31] nach den Ausdruck männlicher Kraft und unbeugsamer Seelenstärke darstellten.

Er war bestrebt, auch seine Kinder zu der gleichen Manneskraft und Seelenstärke zu erziehen. Einer seiner Söhne war übrigens mein Altersgenosse.

Alle fürchteten den Onkel; ich aber fürchtete ihn noch mehr als alle, weil er auch mich zur »Manneskraft« erziehen wollte. Als ich drei Jahre alt war und unheimliche Angst vor Gewittern hatte, stellte er mich einmal bei einem heftigen Gewitter auf den Balkon hinaus und sperrte die Türe ab, um mir auf diese Weise meine Angst auszutreiben.

Natürlich war ich im Hause eines solchen Onkels sehr ungern zu Gast. Ich war damals aber, wie gesagt, erst fünf Jahre alt, und meine Wünsche und Neigungen wurden bei den Entscheidungen, denen ich mich fügen mußte, in keiner Weise in Betracht gezogen.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 31-32.
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