II

[32] Auf dem Gute meines Onkels befand sich ein riesiges steinernes, schloßartiges Gebäude. Es war ein prätentiöser, doch unschöner und sogar häßlicher zweistöckiger Bau mit einer runden Kuppel und einem Turm, über den allerlei scheußliche Geschichten erzählt wurden. Hier hatte einst der verrückte Vater des jetzigen Gutsbesitzers gewohnt; später wurde in diesen Räumen eine Apotheke eingerichtet. Auch das letztere galt aus irgendeinem Grunde als unheimlich; am unheimlichsten war aber die sogenannte Äolsharfe, die in einem offenen geschwungenen Fenster oben auf dem Turme angebracht war. Wenn der Wind durch die Saiten dieses launischen Instrumentes[32] fuhr, gab es ebenso unerwartete wie seltsame Töne von sich, die aus einem leisen Girren in unruhige, wilde Seufzer und in ein wahnsinniges Getöse übergingen, das sich so anhörte, wie wenn ein ganzer Schwarm von Angst getriebener Geister durch die Saiten zöge. Alle Bewohner des Hauses konnten diese Harfe nicht leiden und glaubten, daß sie dem gestrengen Gutsherrn etwas sagte, wogegen er sich nicht aufzulehnen wagte, das ihn aber noch grausamer und unbeugsamer machte ... Eines stand jedenfalls fest: wenn nachts ein Sturm losbrach und die Harfe auf dem Turme so laut dröhnte, daß die Töne über den Park und die Teiche hinweg bis ins Dorf drangen, tat der Herr die ganze Nacht kein Auge zu und war am Morgen noch finsterer und strenger als sonst; dann pflegte er irgendeinen grausamen Befehl zu erteilen, der die Herzen aller seiner Sklaven erbeben machte.

In diesem Hause war es Gesetz, daß jedes Vergehen unnachsichtliche Sühne fand und niemand und unter keinen Umständen Verzeihung erlangte. Dieses Gesetz galt ebenso für die Menschen wie für die Tiere und selbst für die kleinsten Geschöpfe. Der Onkel kannte keine Barmherzigkeit, liebte sie nicht und hielt sie für Schwäche. Unnachsichtige Strenge setzte er über alle Nachsicht. Daher herrschte im Hause und in den zahlreichen Dörfern, die diesem reichen Gutsbesitzer gehörten, eine ewige Trauer, die mit den Menschen auch die Tiere teilten.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 32-33.
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