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In unserer Gegend kommen manchmal so seltsame Charaktere vor, daß man sich ihrer nicht ohne tiefste Erschütterung erinnern kann, selbst wenn schon viele Jahre nach der letzten Begegnung mit ihnen vergangen sind. Zu solchen Charakteren zählte die Kaufmannsfrau Katerina Lwowna Ismajlowa, die einst im Mittelpunkte eines grauenhaften Dramas gestanden hatte und bei unseren Gutsbesitzern unter dem treffenden Namen »Lady Makbeth des Mzensker Landkreises« bekannt war.

Katerina Lwowna war nicht, was man eine Schönheit nennt, doch von angenehmem Äußeren. Sie war erst vierundzwanzig Jahre alt, nicht sehr groß, doch schlank, hatte einen wie aus Marmor gemeißelten Hals, rundliche Schultern, einen prallen Busen, eine gerade, feine Nase, schwarze lebhafte Augen, eine hohe weiße Stirne und schwarzes, sogar blauschwarzes Haar. Man verheiratete sie mit einem Landsmann, dem Kaufmann Ismajlow aus Tuskarj im Kursker Gouvernement. Sie fühlte zwar keine Neigung zu ihm; Ismajlow hatte aber den Antrag gemacht, und sie durfte als armes Mädchen nicht wählerisch sein. Die Ismajlows waren in unserer Gegend angesehen: sie betrieben einen großen Mehlhandel, hatten auf dem Lande eine große Mühle in Pacht, einen einträglichen Garten vor der Stadt und ein schönes Haus in der Stadt und gehörten zu den wohlhabendsten Kaufleuten. Die Familie war[147] obendrein nicht zu groß und bestand nur aus dem Schwiegervater Boris Timofejitsch Ismajlow, der schon an die achtzig Jahre alt und seit langem verwitwet war, seinem Sohn Sinowij Borissowitsch, Katerinas Mann, der auch nicht mehr jung – über fünfzig – war, und Katerina Lwowna selbst. Nach fünfjähriger Ehe hatte Katerina Lwowna noch immer kein Kind; Sinowij Borissowitsch hatte auch von seiner ersten Frau, mit der er zwanzig Jahre gelebt hatte, bevor er Katerina Lwowna heiratete, keine Kinder. Er hatte gehofft, daß Gott ihm wenigstens in seiner zweiten Ehe Kinder schenken würde, die seine Firma und sein Kapital erben könnten; er hatte aber auch mit Katerina Lwowna kein Glück.

Die Kinderlosigkeit machte Sinowij Borissowitsch großen Kummer, und nicht nur ihm allein, sondern auch dem alten Boris Timofejitsch; auch Katerina Lwowna selbst war darüber sehr traurig. Die tödliche Langweile in dem verschlossenen Kaufmannshause mit dem hohen Zaun und den bösen Kettenhunden machte die junge Kaufmannsfrau oft erstarren, so daß sie Gott weiß wie froh gewesen wäre, wenn sie ein Kindchen zu pflegen gehabt hätte; dann hatte sie auch die ewigen Vorwürfe satt: »Warum bist du diese Ehe eingegangen, warum hast du dem Menschen sein Schicksal gebunden, du Unfruchtbare?!« Als ob sie tatsächlich ein Verbrechen an ihrem Manne, am Schwiegervater und am ganzen ehrbaren Kaufmannsgeschlecht begangen hätte!

Bei allem Reichtum war das Leben Katerina Lwownas im Hause des Schwiegervaters öde und traurig. Sie kam fast nie aus dem Hause, und selbst wenn sie mit ihrem Manne irgendwo in Kaufmannsfamilien Besuch machte,[148] hatte sie wenig Freude daran. Es waren lauter strenge Leute, die immer beobachteten, wie sie saß, wie sie ging, wie sie stand, Katerina Lwowna hatte aber einen feurigen Charakter und war als Mädchen ein freies Leben gewohnt; einst durfte sie mit den Eimern zum Fluß laufen, im Hemd am Landungssteg baden oder einen vorbeigehenden Burschen über die Gartenpforte mit Schalen von Sonnenblumenkernen überschütten; hier ist aber alles anders. Der Schwiegervater und der Mann stehen in aller Hergottsfrühe auf, trinken um sechs Uhr Tee und gehen gleich an ihre Geschäfte. Sie aber wandert von Zimmer zu Zimmer. Überall ist es so rein, so still und so leer, vor den Heiligenbildern brennen die Lämpchen, und im ganzen Hause ist kein lebender Ton, keine menschliche Stimme.

Katerina Lwowna irrt eine Zeitlang durch die leeren Zimmer, beginnt vor Langweile zu gähnen und geht die Stiege in das eheliche Schlafzimmer im Mezzanin hinauf. Sie sitzt da, schaut zum Fenster hinaus, wie man vor den Speichern den Hanf aufhängt oder das Mehl in Säcke füllt; sie muß wieder gähnen und freut sich, daß sie eine oder zwei Stunden schlafen kann. Und wenn sie erwacht, überkommt sie wieder die Langweile des altrussischen Kaufmannshauses, vor der man sich, wie es heißt, mit Freuden erhängt. Katerina Lwowna fand auch am Lesen keine Freude, und im Hause gab es keine Bücher außer dem Kiewer Heiligenbuch.

So öde war das Leben Katerina Lwownas in dem reichen Hause, in dem sie nun schon fünf Jahre an der Seite eines lieblosen Gatten lebte. Aber, wie es so immer geht, niemand schenkte ihrer Langweile auch nur die geringste Beachtung.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 147-149.
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